Es war der 18. Oktober 1977. Ein Dienst im brutalen, blutigen deutschen Herbst. Fortan wird sich diese eine Nacht als Todesnacht von Stammheim ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Um 0.38 Uhr berichtet der Deutschlandfunk, dass die 86 Geiseln des entführten Lufthansa-Jets „Landshut“ glücklich befreit worden sind. Mit der Terroraktion sollten zehn Gefangene der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) freigepresst werden.
Darunter auch die vier RAF-Anführer Andreas Baader, Grudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller, die, seit Wochen abgeschottet von jeglichem Kontakt nach außen, im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim einsaßen. Die Nacht endet damit, dass Wachbeamte die vier Terroristen morgens tot in ihren Zellen finden. Erschossen, erhängt, erstochen. Einen Tag später, am 19. Oktober 1977, wurde der von der RAF entführte mächtige Manager Hanns Martin Schleyer tot im Kofferraum eines Autor gefunden. Erschossen.
Was wirklich in dieser Nacht geschah, beschäftigt nicht nur Verschwörungstheoretiker und Investigativjournalisten bis heute. Haarsträubende Ermittlungspannen, Vertuschungsmanöver und Versäumnisse linderten die Skepsis nicht.
Mehrere Varianten
Nun, 40 Jahre später, rollt der „Tatort“ diesen Fall neu auf. Man kann es nicht anders sagen. Denn Regisseur Dominik Graf zertrümmert den behördlich dokumentierten Verlauf dieser Nacht in Stuttgart. Er erzählt, nebeneinander, mehrere Varianten dieser Nacht: War es tatsächlich Suizid? War er von den Behörden assistiert? Oder – und auch diese These zeigt der Krimi – eine staatliche Hinrichtung? Die Szenen, in denen ein altgedienter Insider des Verfassungsschutzes mit Schnapsglas in der Hand andeutet, was sich hinter Gitter abgespielt haben könnte, wird sicher für Diskussionen sorgen.
Ausgehend von einem abgewrackten Ex-Linken (grandios wie selten: Hannes Jaenicke), dessen Freundin in der Badewanne ertränkt aufgefunden wird, ermitteln die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) zwischen Verfassungsschutz, Verschwörung und Verschleierung. Ihre bittere Vermutung: „Der Staat vertuscht einen Mord, um drei RAF-Mitglieder im Pensionsalter zu schützen.“ Bitter, diese Brüche in der Vergangenheitsbewältigung. Und ziemlich bildgewaltig aufgedonnerte Zeitgeschichte.
Keine Frage: Eine gemütliche Alternative zu den Politikerphrasen hierzulande wird das heute Abend ganz bestimmt nicht. Einer der aufregendsten Folgen der frischen „Tatort“-Saison ist „Der rote Schatten“ aber allemal.