Mit einem Herzschlagfinale hat es Österreich ins Finale des 62. Eurovision Song Contest (ESC) geschafft: Erst als letzter der zehn Finalaufsteiger wurde Nathan Trent im 2. Halbfinale des Musikbewerbs genannt. Nun kann der Innsbrucker in der Endrunde am kommenden Samstag in der ukrainischen Hauptstadt mit seiner Nummer "Running on Air" gegen 25 weitere Länder antreten. Seine nächsten Schritte sind klar:
Die Erfahrung auf der Bühne sei unglaublich gewesen: "Vorher wurde immer gesagt, dass es mit Startnummer 2 so schwer wird. Aber anscheinend hat es den Leuten gefallen."
Vollends zufrieden sei er natürlich nie: "Ich habe immer etwas auszusetzen. Ich bin ein Perfektionist." Aber grundsätzlich gelte: "Es war ein cooler Moment, und ich war entspannter als bei der Generalprobe."
Er könne in jedem Falle sagen: "Ich habe wirklich mein Bestes gegeben und mir so viel Mühe gemacht. Ich hoffe, dass die Leute das sehen, denn ich nehme es nicht auf die leichte Schulter." Schließlich habe sein Einsatz im Finale am Samstag eine patriotische Komponente: "Es ist auch eine Präsentation nach außen von unserem Land - und Österreich ist das Land der Musik."
Mit seinem ganz in Weiß gehaltenen Bühnenoutfit und einem Halbmond, auf dem der Lufttänzer seine Runden drehen konnte, holte der 25-Jährige genügend Stimmen von den ESC-Zuschauern und den internationalen Jurys.
Ebenfalls über ein Finalticket konnte sich wie erwartet das Küken des heurigen Bewerbes, Kristian Kostow aus Bulgarien, freuen. Mit einer unterkühlt-monochromen Inszenierung zu seinem Song "Beautiful Mess" überzeugte der 17-Jährige mit frappant reifer Stimme ebenso die ESC-Freunde wie die drei niederländischen Schwestern O'G3NE, die sich für "Lights And Shadows" ganz auf ihre Stimmen und ihren Charme verließen.
Nicht mit Pauken und Trompeten, sondern Kanonen und Jodeln gelang Rumänien der Aufstieg. Die programmatisch mit "Yodel It!" betitelte Pop-Rap-Jodelnummer von Ilinca und Alex Florea sorgte offensichtlich nicht nur in der rund 8000 Zuschauer fassenden Messehalle abseits der Kiewer Altstadt für gute Stimmung.
Auf Goldregen und Bühnenzauber setzte Dänemarks Popballaden-Tröte Anja Nissen, die vor Ergriffenheit bei "Where I Am" auf die Knie sank, was offensichtlich auch die Zuschauer taten. Aus der folkloristischen Abteilung setzte sich Ungarns Kandidat, der Romamusiker Joci Papai, mit seinem in Landessprache gesungenen "Origo" durch, was auch für das Duo Naviband aus dem Binnenland Weißrussland galt, das es mit seiner fröhlichen Ethnonummer "Historyja majho zyccia" schaffte.
Erfolgreich eher die homophile Zielgruppe des ESC adressierte Israels Imri Ziv mit auftrainiertem Oberkörper im durchsichtigen Hemd und seiner Disconummer "I Feel Alive". Nicht zwei Seelen, sondern zwei Stimmen in seiner Brust hat hingegen Kroatiens Schwergewicht Jacques Houdek, der mit Bariton auf Italienisch und Falsett auf Englisch und seiner Nummer "My Friend" mehr als einen Freund für sich gewann. Und für den Norweger Jowst und seinen singenden Bühnenpartner Aleksander Walmann hieß es tatsächlich "Grab The Moment".
Die Gescheiterten
Definitiv nicht mehr "Dance Alone" heißt es indes für Mazedoniens Vertreterin Jana Burceska - erhielt die 23-jährige Sängerin doch vor laufender Kamera einen Heiratsantrag ihres Partners während des Interviews. Und die Schwangere nahm an. Die Verlobungszeit können die beiden nun ungestört genießen, schied Mazedonien doch ebenso aus wie Estland mit der einzigen ruhigen Liebesballade des Abends, des von Koit Toome und Laura im klassischen Stil der 80er präsentierten "Verona". Irlands Jüngling Brendan Murray stand für sein "Dying To Try" - angesichts seiner Stimmlage - unter einem offensichtlich mit Helium gefüllten Fesselballon - was dem 20-Jährigen ebenso wenig Glück brachte wie das bunte Bonbonkleid samt Bühnenshow wie von Prinzessin Lillifee im Fiebertraum erdacht der Schweiz. Die Gruppe Timebelle muss mit ihrem Song "Apollo" ebenso die Heimreise antreten wie Serbiens Tijana Bogicevic mit ihrer unauffälligen Nummer "In Too Deep".
Durchatmen heißt es auch für Claudia Faniello aus Malta, die es mit ihrer Schmachthymne "Breathlessly" ebenso wenig in die Endrunde schaffte wie Ralph Siegels 25. ESC-Beitrag, "Spirit Of The Night", den Valentina Monetta und Jimmie Wilson für San Marino in den nächtlichen Sand setzten. Ein Heimfahr- statt einem Finalticket gab es schließlich noch für das Elektroduo Fusedmarc, deren "Rain Of Revolution" eher ein kurzer Schauer blieb.
Die drei Moderatoren Timur Miroshnychenko, Volodymyr Ostapchuk und Oleksandr Skichko blieben auch in der 2. Ausgabe der Show ihrem Konzept treu, eher das klassische Rollenbild des Show-Gastgebers denn des Komikers zu pflegen. Immerhin warfen sich Ostapchuk und Skichko für die Auftaktnummer des Abends auch als Musiker ins Zeug und beteiligten sich an einer ukrainischen Volkstanzinterpretation beliebter Song-Contest-Hits der vergangenen Jahre - inklusive Conchitas "Rise Like A Phoenix" als Höhepunkt.
Österreichs ESC-Veteran und ORF-Kommentator Andi Knoll zeigte sich nach dem Herzschlag-Halbfinale für den heimischen Kandidaten Nathan Trent vollends angetan: "Wenn es nicht weitergegangen wäre für Österreich, wäre es natürlich furchtbar gewesen. Aber so war es echt lässig - richtig geil!" Seine persönliche Prognose für das Abschneiden im Finale werde jedenfalls praktisch stündlich besser. "Ich sage seit Wochen: Es wird Platz 23 im Finale. Heute habe ich dann das erste Mal gedacht: Platz 18. Und jetzt vielleicht Platz 14 ... aber ernsthaft: Nathan hat sich so viel Druck gemacht, jetzt soll er es mal genießen. Vielleicht werden es ja wirklich die Top 15", so der 44-jährige ORF-Star in Kiew.
In jedem Fall sei der erneute Finaleinzug auch für Österreichs Popszene ein Qualitätssiegel: "Wir sind noch nicht Schweden. Let the Church in the Village. Aber wir gehören mittlerweile schon zu den Ländern, bei denen man weiß: Da kommt was ganz Anständiges daher. Vor allem gehören wir nicht zu denen, die immer alle Songs in Schweden einkaufen, das sind österreichische Eigenproduktionen. Das muss sich jetzt nur noch zuhause rumsprechen."
Nun wird es am Samstag also für die 26 Finalländer ernst, die vor erwarteten rund 120 Millionen Fernsehzuschauern um die europäische Sangeskrone rittern. Neben den 20 Finalisten, die sich aus den beiden Halbfinals qualifizierten, zählten dazu die "Big Five" genannten größten Beitragszahler des Bewerbs, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Hinzu kommt überdies Gastgeber Ukraine, der ebenfalls fix für die Endrunde gesetzt ist.