Zuletzt hatte der Ex-Chefredakteur der "Jerusalem Post", Ari Rath, die Zuversicht doch etwas verloren. Er hatte nur wenig Hoffnung auf eine Lösung des Nahost-Konflikts. "Ich bin enttäuscht, es ist alles so verworren auf beiden Seiten", meinte der am Freitag verstorbene Rath im Sommer 2014 im ORF-Radio. Dabei hatte Rath sein schicksalgeprüftes Leben stets als "fast exzessiver Optimist" gemeistert.
2014 forderte Rath, der stets für ein friedvolles Zusammenleben von Israelis und Palästinensern eingetreten war, mehr EU-Engagement für Nahost. Friedenspläne wären ja da, meinte er: "Man muss nur die richtige Schublade öffnen". Bis zu seinem Tod, der ihn am Freitag in Wien ereilte, hatte er vergebens darauf gewartet. Während eines Israel-Besuchs traten Herzprobleme bei Rath auf, im Wiener AKH wurde er operiert, es seien jedoch noch Probleme mit der Lunge dazugekommen, berichtete die Tageszeitung "Der Standard" in ihrer Online-Ausgabe. Seinen 92. Geburtstag hatte Rath erst am 6. Jänner gefeiert.
1938 nach Palästina vertrieben
Ari - eigentlich Arnold - Rath wurde 1925 in Wien-Alsergrund geboren und wurde 1938 nach Palästina vertrieben. Von 1975 bis 1989 war er Herausgeber und Chefredakteur der "Jerusalem Post", die unter Rath eine liberale Linie vertrat. 2007 wurde Rath erneut österreichischer Staatsbürger, 2011 mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. Im Oktober erschienen 2012 seine Memoiren unter dem Titel "Ari heißt Löwe" im Zsolnay Verlag, die zwei Jahre später vom Fischer-Verlag auch als Taschenbuch und eBook editiert wurden.
Raths Leben war von den Wirren sowie Irrlehren und -läufen des 20. Jahrhunderts gezeichnet. Die Ausgrenzung bekam er schon lange vor der Machtübernahme durch die im März 1938 erfolgte Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zu spüren. Am Gymnasium in der Wasagasse im 9. Wiener Gemeindebezirk, das auch Stefan Zweig, Erich Fried, Erwin Chargaff und Friedrich Torberg besucht hatten, wurde er bereits 1934 in eine sogenannte "Judenklasse" gesteckt. Die Segregation hatte der damalige christlichsoziale Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg angeordnet, der später nach der Ermordung von Engelbert Dollfuß bei einem Nazi-Putschversuch im Juli 1934 bis zum Nazi-Einmarsch Österreich als Bundeskanzler autoritär regierte.
Gewalt, Demütigung und Ausgrenzung
Das Wasagymnasium war vor der Nazi-Barbarei und dem Zweiten Weltkrieg Teil einer blühenden jüdischen Kultur inmitten von Wien. Rund die Hälfte der Schüler war 1938 mosaischen Glaubens. Bereits im Ständestaat und vor allem nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands unter der Führung von Diktator Adolf Hitler wurden sie zum Ziel von Gewaltakten, Demütigungen, Ausgrenzungen und Verfolgungen. Jüdische Lehrer wurden ihrer Ämter enthoben und vertrieben. Die rund 6000 jüdischen Schüler in Wien wurden "umgeschult", vorerst also in einzelnen Schulen "gesammelt".
Das Wasagymnasium war ein Institut dafür. "Umgeschult" war auch der Titel eines Buches, das vor einigen Jahren an dieser Schule präsentiert wurde. Es geht auf ein Projekt der Religionslehrerin Renate Mercsanits zurück, die laut einem Bericht der "Wiener Zeitung" ab 2003 gemeinsam mit Bernd Vogel die Schicksale der 1938 vertriebenen Schüler und Lehrer dokumentierte. Im hohen Alter erinnerte sich der betagte Journalist aber auch mit ein bisschen schmunzelnder Selbstironie an seine Zeit in der Wasagasse. Pünktlichkeit war offenbar nicht die Stärke des jugendlichen Ari. Er habe sich oft verspätet, erzählte er einmal. Der Klassenlehrer habe dies (fast) täglich mit dem gleichen Bonmot kommentiert: "Kommt Zeit, kommt Rath...."
"'Saujud, fahr nach Palästina!'"
Seinen Lebensabend verbrachte Rath im Wiener Maimonides-Heim. Ob er sich wieder als Österreicher fühle, wurde er einmal gefragt. "Nein. Alles, was mir lieb war, wurde mir 1938 genommen, weil ich Jude war", lautete die Antwort. Diesen Satz schrieb er auch im Prolog zu seinen von Stefanie Oswalt aufgezeichneten Lebenserinnerungen. Ab März 1938 galt er gemeinsam mit rund 190.000 anderen Wiener Juden als "vogelfrei". Im Park zu spielen, war plötzlich verboten, das Geschäft der Eltern wurde beschlagnahmt, der Vater deportiert. "'Saujud, fahr nach Palästina!', hat man mir auf der Straße nachgerufen. Für mich war es eine Beleidigung, denn von Palästina wollte ich nichts wissen. Ich war ja ein gebürtiger Wiener."
Dennoch kam er im November 1938 im Alter von 13 Jahren mit einem Kindertransport über Triest nach Palästina. Im Gespräch mit den TV-Sender ORF III erinnerte sich Rath mit schwermütiger Nostalgie daran, dass er dank eines mit ihm befreundeten Buben aus der Nachbarschaft wenigstens sein Steyr-Puch-Fahrrad mitnehmen konnte. Es war ein Geschenk zur Bar Mitzwa gewesen, der jüdischen Feier zur Religionsmündigkeit.
In der erzwungenermaßen neuen Heimat gründete er mit Gleichgesinnten den Kibbuz Hamadia nahe Bet She'an im Norden Israels, wo er dann auch immerhin 16 Jahre seines Lebens verbrachte. Zudem studierte Rath Zeitgeschichte und Volkswirtschaft und wurde schließlich Journalist. Knapp über 30 Jahre alt heuerte er 1957 als Redakteur der "Jerusalem Post"an und legte den deutschen Vornamen Arnold endgültig ab, um künftig als Ari Karriere zu machen.
Ari Rath zählte zum engeren Kreis rund um den ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion und war auch mit dem erst vor wenigen Monaten verstorbenen Shimon Peres (Präsident von 2007 bis 2014) und dem 1995 ermordeten Präsidenten Yitzhak Rabin in engstem Kontakt. Bei der "Jerusalem Post" war er ab 1975 Chefredakteur, vier Jahre später übernahm er das Amt des Herausgebers. Bis 1989 arbeitete Rath als Journalist, später betätigte er sich gelegentlich als freier Publizist und Schriftsteller.
In den Jahren 2013 und 2014 trat Rath bei der zeitgeschichtlichen Produktion "Die letzten Zeugen" von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann am Wiener Burgtheater in Erscheinung. Diese wollte die Novemberpogrome 1938 thematisieren und verarbeiten. Sie wurde auch beim Berliner Theatertreffen gezeigt.
Bei einer dieser Veranstaltungen hieß es damals in einer APA-Kritik: "Zu der tiefen Verstörung, erfahren zu haben, welche Dinge Menschen einander antun können, und der unvorstellbaren Kraft, die es braucht, mit diesen Erfahrungen weiterleben zu können, hätten sich später zwei Traumata hinzugesellt, hieß es immer wieder: der oft ungebrochene Antisemitismus, der auch nach dem Krieg den Überlebenden entgegenschlug, und die Scham und Trauer (und nicht selten auch der Erklärungsnotstand darüber), selbst überlebt zu haben, während Millionen andere gestorben waren." Ari Rath wurde dabei mit folgenden Worten zitiert: "Ich habe mein ganzes Leben meinen eigenen Shoah-Komplex, ein Schuldgefühl".