Als minderwertig, aber lukrativ wird das Fernsehen gleich an mehreren Stellen von "Crisis In Six Scenes" abgetan. Mit seiner ersten Serien-Arbeit überhaupt scheint der legendäre Filmemacher Woody Allen seine eigenen Vorurteile trotzig bestätigen zu wollen. Ab dem morgigen Freitag (30. September) sind die sechs lieblos erzählten und uninspiriert inszenierten Episoden der Comedy auf Amazon Prime Video abrufbar.

Wobei das Engagement des 80-Jährigen für Amazon freilich ein Coup war, hat sich der US-Online-Versandhändler damit doch einen der berühmtesten und fleißigsten Verfechter des Kinofilms, der seit Jahrzehnten jährlich einen Film abliefert, für das hart umkämpfte Streaminggeschäft gesichert. Als "Fluch meines Lebens" hat Allen das Projekt bereits kurz nach der Ankündigung bezeichnet - auch, weil der Schöpfer von Klassikern wie "Der Stadtneurotiker" (1977) und weniger qualitativen, jüngeren Werken wie "Irrational Man" (2015) Zeit seines Lebens nie eine Fernsehserie gesehen hat und auch nicht plant, das zu tun.

Man kann Allen zumindest anrechnen, dass er mit seiner Motivation für das späte Debüt nicht hinterm Berg hält. In der Einstiegsszene der in den 60er-Jahren angesiedelten Serie sitzt er als Schriftsteller Sidney Muntzinger beim so kulturaffinen wie direkten Friseur, der das geplante TV-Projekt seines Stammkunden als "minderwertig" abtut. "Aber es bringt nun mal mehr ein als Bücher", rechtfertigt sich Muntzinger - eine Figur, mit der Allen mal wieder in seine Paraderolle des viel und schnell sprechenden, von Tod und Krankheit besessenen Neurotikers schlüpft.

Sterblichkeit

Den einst erfolgreichen Werbefilmer und nun eher erfolglosen Autor scheint der Vietnamkrieg und der wachsende Widerstand innerhalb der afroamerikanischen Community wenig zu kümmern; man hat ja andere Dinge, die einem Sorge bereiten - der kaputte Fernseher oder die eigene Sterblichkeit etwa. Gemeinsam mit Ehefrau und Psychiaterin Kay (Lichtblick: Elaine May, 84) lebt Sidney eine gemütliche Routine im schicken Haus in der New Yorker Vorstadt - bis eines Nachts die junge Aktivistin Darlene "Lenny" Dale (Miley Cyrus) einsteigt. Sidney erkennt das Gesicht aus den Nachrichten: Als Mitglied der militanten "Constitutional Liberation Army" ist die junge Frau kürzlich aus dem Gefängnis geflüchtet und hat dabei einen Wärter erschossen. Weil Lennys Familie Kay nach dem Tod deren Eltern einst bei sich aufgenommen hatte, fühlt die sich verpflichtet, die Flüchtige aufzunehmen - sehr zum Unmut Sidneys, der lieber eine mögliche Belohnung einstreichen und auf Karibik-Urlaub fahren will.

Miley Cyrus als junge Aktivistin
Miley Cyrus als junge Aktivistin © Amazon

Sidneys Antipathie gegenüber der Anhängerin von Theorien des Mao Zedong, Che Guevara oder auch Frantz Fanon wird an den Folgetagen nur weiter wachsen. Lenny attackiert die politische Untätigkeit und konservativen Gewohnheiten Sidneys, der sich als liberalen Demokraten bezeichnet, aber nicht einmal als Wähler registriert ist. "Wir sind alle gegen Krieg und soziale Veränderung", so seine Rechtfertigung - aber das müsse man doch nicht dauernd deklarieren! Während Sidney also in seinem "passiven Widerstand" verharrt, lockt Lenny sowohl die angestachelte Kay als auch den jungen Hausgast Alan (John Magaro) aus der Reserve. Der Sohn guter Freunde wohnt während seines Studiums bei den Muntzigers, weil seine Eltern sich damit erhoffen, ihn "von Hippies und Junkies" fernhalten zu können. Es dauert nicht lange, bis die aufgeweckte Lenny ihn für Karl Marx (und sich selbst) begeistert und seine Verlobte Ellie (Rachel Brosnahan) vergessen lässt.

So weit, so vorhersehbar die Story. Über vier Episoden ziehen sich die immer selben Streitgespräche zwischen Sidney und Lenny, in denen Allen seine Themen der vergangenen Jahrzehnte wiederkaut. Man könnte all das als Kritik an dem heute noch stärker ausgeprägten Zynismus der Gesellschaft ob der Weltlage verstehen, wären die Dialoge nicht so unambitioniert geschrieben und gespielt. Popstar Miley Cyrus versucht, das Beste aus dem Drehbuch herauszuholen, wirkt aber in keinem Moment radikalisiert, geschweige denn gefährlich. Für die einzigen komödiantischen Höhepunkte sorgt Kays Bücherklub aus älteren Damen, die sich dank Lennys Lektüre-Vorschlägen plötzlich in politische Diskussionen stürzen, bei Mao aber auch mal zu chinesischem Tee abdriften.

Radikalisierung

Die schleichende Radikalisierung der Pensionistinnen erfolgt - wie auch Sidneys absurde, ungewollte Komplizenschaft - erst in den letzten zwei Episoden. Als das gesamte Ensemble für eine abschließende, turbulente Farce im Haus zusammenkommt, ist es schon zu spät: Bis dahin dürfte Allen seine Zuseher längst verloren oder zu sehr verärgert haben. Es bleibt zu hoffen, dass er das angebotene Geld nun nimmt, rennt - und nicht zurück blickt. Und dass Amazon weiter auf die vielleicht weniger bekannten, aber visionären Storyteller setzt: Serien wie "Transparent" oder "One Mississippi" gelingt doch auch das Kunststück, Komödie und Drama in knapp einer halben Stunde so berührend wie komisch zu verpacken.