Es wächst und wächst und wächst, in Wien wird gerade das Sisi-Museum um zwölf neue Räume erweitert. Kaiserin Elisabeth boomt und das Bild, das von ihr in der Populärkultur gezeichnet wird, bleibt so starr und unbeweglich wie eine Marmorsäule. Seit der „Sissi“-Trilogie von Ernst Marischka, mit Romy Schneider in der Hauptrolle, hat sich das Bild der Kaiserin einzementiert: Eine große Liebe, ein goldener Käfig, eine böse Schwiegermutter und eine Hauptfigur mit ungestümem Tatendrang, die natürlich auch noch edel, hilfreich und gut ist. Dass das recht eindeutig an ein Märchen erinnert, ist auch kein Zufall. Und es liegt auf der Hand, warum sich auch neue Produktionen nicht weit von diesem einzementierten Bild weg bewegen.
Dem Drama muss eine sympathische Figur gegenüberstehen, die sich einem starren System widersetzt und die Selbstermächtigung zelebriert. Als Ausgleich für Letzteres, man will ja nicht den Anschein von Egozentrik erwecken, muss sie mit einem ausgeprägten Sinn für die Unterdrückten der Gesellschaft aufwarten. Klingt also rundum sympathisch und hat wohl mit der echten Kaiserin nicht viel am Hut. Marie Kreutzer hat in „Corsage“ (heute um 20.15 Uhr auf Arte zu sehen) Vicky Krieps als eine Elisabeth gezeichnet, die der Originalfigur recht nahe kommen dürfte (siehe Kasten rechts). Auf Netflix ist ab heute die zweite Staffel von „Die Kaiserin“ zu sehen.
Die Serie, deren erste Staffel mit einem Emmy ausgezeichnet wurde, ist in der zweiten Runde im habsburgischen Alltag angekommen. Das Korsett wirkt gleich mehrfach: Außerhalb der Schlossmauern wehren sich diverse Provinzen gegen den eisernen Griff der Monarchie, innerhalb verwaltet das spanische Hofzeremoniell geizig den Freiraum der Kaiserin. Die Figur der Elisabeth (Devrim Lingnau) wird auch hier als Sympathieträgerin inszeniert, deren überbordendes Mitgefühl einer diplomatischen Wunderwaffe gleicht. Die Realität im Habsburgerreich sah freilich anders aus. Und doch entfernt sich die Figur mit fortschreitender Staffel von der Lichtgestalt, wird in die Realität gezerrt und bisweilen traut man sich, sie von der märchenhaften Lieblichkeit zu befreien.
Ein Herrscher, der sich zum Herrschen zwingen muss
Philip Froissant als Kaiser Franz Joseph I. verkörpert mit Bravour einen Herrscher, der sich zum Herrschen zwingen muss. Von Kindesbeinen an in das Monarchenkorsett geschraubt, hadert er mit Machtfülle und Verantwortung für ein Riesenreich. Sehr an die märchenhafte böse Stiefmutter angelehnt: Erzherzogin Sophie (Melika Foroutan), wie schon in der ersten Staffel zieht sie die Feldwebelnummer im Dienste der Krone durch. Die distanziert-professionelle Besorgtheit macht sie zum aufgelegten Reibebaum. Es bleibt beim zaghaften Versuch, ihre harte Schale anzuknacken, um das Klischee zu brechen. Opulent und rauschhaft bleiben die Ausstattung und die Wertigkeit der Serie.
Am 15. und 16. Dezember geht die nächste „Sisi“-Serie im ORF ins Finale: Die Kooperation mit RTL+ inszeniert die Serie das turbulente Beziehungsgeflecht rund um Kaiser und Kaiserin. Die politisch-historischen Umwälzungen bilden vielmehr den Hintergrundsound. Wobei wir wieder beim Märchen sind, hier wird ordentlich dazugedichtet.