Dabei hatte alles so innovativ begonnen. Als Anfang des Jahres 2008 ein junger Senator durch die USA mit Botschaften von Hoffnung und Wandel tingelte, fanden sich dieselben Versprechen mit demselben Gesicht auf Twitter wieder. Es war eine neue Art der Kommunikation, die Barack Obama zunächst die Kandidatur der Demokraten einbrachte und wenig später für seinen Umzug ins Weiße Haus sorgte.

Twitter und die Politik

Obama hatte einen Trend erkannt, der in Europa nie einsetzte. Während sich hierzulande vermehrt Journalisten und andere Meinungsmacher auf der Plattform ansiedelten, waren es auf der anderen Seite des Atlantiks oft auch junge Leute, die die gute Stimmung auf der Plattform genossen. „In den USA hatte Twitter einen Society-Charakter, wo sich Prominente besonders nahbar gaben“, sagt die Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig.

Auch die Folgejahre waren eine Erfolgsgeschichte für Twitter. Als der Kurznachrichtendienst im Jahr 2018 erstmals wirtschaftlich schwarze Zahlen schrieb, hatten die 140 Buchstaben, die pro Posting auf der Plattform geschrieben werden konnten, schon einiges verschoben. Der „Arab Social Media Report“ der Dubai School of Government zeigt, dass Twitter gemeinsam mit Facebook und YouTube während des arabischen Frühlings den „Bürgerjournalismus im Land grundlegend verändert hat“. Brodnig meint: „Auf Twitter erfuhr man Breaking News immer als Erstes – das löste einen besonderen Reiz aus“.

Mit der Relevanz kamen aber auch Herausforderungen. Twitters Server waren vom rasanten Tempo überfordert. Automatisch agierende Fake-Profile, Social Bots genannt, zogen über die Plattform her und erzeugten ebenfalls politische Umwälzungen. 2016 hatte ein damals noch weitgehend unterschätzter Donald Trump begonnen, seine Ideen auf Twitter zu kommunizieren. Die Aufmerksamkeit stieg, Trump gewann Zulauf. Elisabeth Thimea Török von der Universität Salzburg meint, Trump hätte über Twitter Themen gesetzt, die so groß wurden, dass sie auch in den klassischen Medien landeten. Untersuchungen der University of Southern California fanden später heraus, dass 80 Prozent von Trumps Likes und Retweets von Social Bots kamen.

Mit der Twitter-Übernahme von Elon Musk und der Umbenennung in „X“ im Jahr 2022 fielen die Hemmungen. Moderatoren wurden gekündigt, Falschmeldung-produzierende Accounts, die gesperrt wurden, kamen auf die Plattform zurück. „Mit Musk ist die Verrohung auf Twitter viel drastischer geworden“, sagt Brodnig. Die Aufbruchstimmung, die einst zum Aufstieg führte, war – wie der Vogel im Logo – verflogen. Zuletzt wurde der Bogen überspannt. Seit Jänner 2024 verließen drei Millionen Nutzer „X“, darunter prominente nationale sowie internationale Journalisten, Musiker und Sportklubs – viele wechselten zu BlueSky.

Elon Musk
Elon Musk © IMAGO / Imago

Auch hier kämpft man bereits mit ähnlichen Problemen. Wie das Unternehmen mitteilt, wurden innerhalb von nur 24 Stunden 42.000 Beschwerden eingereicht. Das soziale Netzwerk zeigt sich jedoch innovativ in der Lösungsfindung, sagt Brodnig; „Nutzer können aussuchen, inwieweit sie beleidigende Inhalte sehen oder verborgen haben wollen – es gibt eine Vielzahl solcher Moderations-Tools“.

BlueSky und seine Aufgaben

Um politisch die Relevanz von Twitter zu erreichen, braucht es Wachstum, sagt Brodnig: „Und zwar diverses, das inkludiert Linke, Konservative, also diese breite Bewegung aus der Zivilgesellschaft ist dort wichtig“. Die jüngsten Entwicklungen legen das nahe. Mitte September konnte Bluesky zehn Millionen Nutzer vermelden, in der vergangenen Woche waren es 15 Millionen, nun sind schon 20 Millionen Accounts in dem Netzwerk aktiv.

Entschieden wird der Erfolg von BlueSky dort, wo es auch schon für Twitter begann. „Der US-amerikanische Markt wird mit Sicherheit entscheidend“, sagt Brodnig. In den letzten Tagen sei es der Plattform aber gelungen, den Kurznachrichtendienst Threads von Meta zu überholen. Zudem habe man neuerlich eine Aufbruchstimmung generiert, nach der sich viele mittlerweile schon gesehnt hätten. Ob das jedoch reicht, um politische Revolutionen vom Zaun zu brechen und Außenseiter an die Spitze zu führen? Möglich ist in der virtuellen Welt viel. Für den Anfang wäre aber ein zivilisierter Diskurs schon innovativ genug.