Im Nachhinein stellt sich die Frage: Wann war der „Tipping-Point“, jener Kipppunkt, an dem alles ins Rutschen gerät und die ganze Sache unwiderruflich die Richtung ändert? Vielleicht war es, als der Mafiaboss seinem Anwalt mit all der grausigen Lässigkeit des Stärkeren einfach so hinrotzt: „Warum hechelst du so?“ Björn Diemel (Tom Schilling), der Anwalt, er atmet ein, er atmet aus. Streng nach Lehrbuch, wie es ihm ein Achtsamkeitstrainer beigebracht hat. Der kam zum Zug, weil Björn seit Jahren auf Hochtouren fährt: In einer renommierten Anwaltskanzlei kümmert er sich „all-inclusive“ um die Belange des Mafiabosses Dragan Sergović (Sascha Geršak) – Geldwäsche inklusive. Belohnt wird die Drecksarbeit nicht, dafür hat er kaum Zeit für seine Familie. Die Eskalation beginnt bei einem Krisengespräch mit dem Mafiaboss. Und wie auf Knopfdruck setzt Björn sukzessive all das um, was sein Achtsamkeitscoach ihm geraten hat: Atmen, Zeitinseln nehmen, keine Anrufe beantworten.

Es folgt fast nebenbei das erste Todesopfer, aber Björn, der bleibt ruhig, konzentriert, ruht in sich selbst. Zwangsläufig beginnt sich die Spirale des Wahnsinns zu drehen, der Mafiaclan wird panisch, das Video eines Verbrechens taucht auf und die Polizei mischt auch mit. Und Björn? Er atmet ein, er atmet aus. Das absurd Komische gepaart mit einem unglaublich wendigen Hauptdarsteller ist die DNA der Serie: Tom Schilling wird zum Jongleur des Chaos, denkt, lenkt, improvisiert, durchbricht bisweilen die vierte Wand, spricht zum Publikum.

Ein Zelebrieren der Eskalation

In acht Teilen fährt man in der Serienumsetzung des Erfolgsromans von Karsten Dusse die Eskalationsstufen hoch und Björn seinen Puls runter. Die Klischeepalette wird zelebriert, überhöht und mit Genuss abgeräumt: der Achtsamkeitshype, die Mafia, genervte Ehefrau, alte weiße Männer in Führungspositionen, begriffsstutzige Polizisten. Und keine Frage, fabelhaft – Tom Schilling, der in Rekordzeit von der Hysterie in den Hybrismodus wechselt. Eine filigrane Lässigkeit, die vor allem von einem Wissen gespeist wird – es gibt kein Zurück mehr.

Bewertung: ●●●●○

„Achtsam Morden“ ist auf Netflix zu sehen.