Ein Pensionist, der die Gratiszeitung „Heute“ in einem Posting auf X als „Scheißblatt“ bezeichnet hatte, ist am Donnerstag am Wiener Straflandesgericht freigesprochen worden. „Heute“-Herausgeberin Eva Dichand hatte für ihr Medium eine strafrechtliche Privatanklage wegen Beleidigung eingebracht. Der Richter sah jedoch keine zusammenhanglose Herabwürdigung, sondern eine Wertungsäußerung gegeben, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

„Wutmoment“ und „Kampagnenjournalismus“.

Der Angeklagte hatte im August gepostet, dass „Heute“ ein „Scheißblatt“ sei, wobei es sich „nicht einmal dafür“ eigne. Damit reagierte er auf einen Tweet von Alexander Pollak von SOS Mitmensch. Dieser beschwerte sich darüber, dass der Wiener FPÖ-Landesparteiobmann Dominik Nepp in „Heute“ die Mindestsicherung als Schutzgeld für Asylanten bezeichnet hatte. Vor Gericht erklärte der Pensionist, dass er das Posting in einem ersten „Wutmoment“ verfasst und abgesetzt habe. Ihn habe die Berichterstattung des Boulevardblatts über Mindestsicherungsbezieher empört, es handle sich um „Kampagnenjournalismus“. Sein Sohn, der kurze Zeit vor Verfassen des Postings gestorben war, bezog selbst immer wieder einmal Mindestsicherung.

Der Anwalt der Zeitung meinte, dass „Heute“ mit der Bezeichnung „Scheißblatt“ derselbe Wert wie Fäkalien zugesprochen werde. Meinungsfreiheit sei zwar wichtig, ende aber bei Beleidigungen - egal gegen wen sie sich richten.

Die Anwältin des Pensionisten meinte wiederum, dass eine strafrechtliche Anklage unverhältnismäßig sei, da es sich um eine harmlose Beschimpfung handle, die im täglichen Sprachgebrauch rege Anwendung finde. Sie sah eine Einschüchterungsklage gegeben.

Richter: Kein Tatbestand der Beleidigung

Der Richter sah es ähnlich: Der Begriff „Scheiß...“ sei negativ konnotiert, aber im allgemeinen Sprachgebrauch sehr häufig zu hören. Damit drücke man Unzufriedenheit aus - im konkreten Fall, dass diese Zeitung nicht zu lesen sei, sie ihrer Funktion als Zeitung nicht gerecht werde. Die Verbindung zu Fäkalien sei nicht zwingend ersichtlich. Es liege zwar ein Grenzfall vor, aber der Tatbestand der Beleidigung werde nicht erfüllt. Es handle sich um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Wertungsäußerung.

Die Anträge auf Löschung des Postings und Urteilsveröffentlichung wurden abgewiesen. Auch muss die Klägerin die Rechtskosten tragen. Der „Heute“-Anwalt meldete Berufung an, womit das Urteil nicht rechtskräftig ist.

Abseits des Verfahrens am Straflandesgericht wurde der Pensionist noch weitere zweimal zivilrechtlich wegen seines Postings - in dem er Dichand auch als „Rachehex“ und „Heute“-Chefredakteur Clemens Oistric als „Rattler“ bezeichnete - geklagt. In diesen beiden Fällen wollte er sich nicht auf ein Verfahren einlassen, weshalb Versäumnisurteile ergingen und ihm laut „Tagespresse“ Kosten in Höhe von 5.000 Euro entstanden. Sein Posting löschte er bereits nach Erhalt der Klage.

„Tagespresse“: Unterstützung und Häusl-Satire

Die „Tagespresse“ unterstützte den Pensionisten mit einem Crowdfunding, dass das Ziel, die zu erwartenden Rechtskosten von 20.000 Euro zu decken, innerhalb weniger Stunden erreichte. Im Falle eines Freispruchs wollte das Satiremedium die übrige Summe an SOS Mitmensch spenden.

Die „Tagespresse“ lieferte sich selbst schon so manchen Schlagabtausch mit „Heute“. So verteilte das Satiremedium etwa zum 20-Jahr-Jubiläum des Gratisblatts eine „Heute“-Persiflage in fünfstelliger Auflage mit dem wenig schmeichelhaften Titel „Häusl“ im öffentlichen Raum.