Man stelle sich vor, Karl Nehammer ginge ins Dschungelcamp. Vielleicht nicht ganz so, aber eine Sensation war es schon, als Romy Schneider am 30. Oktober 1974 in einem deutschen TV-Studio Platz nahm – in der Talkshow „Je später der Abend“, moderiert vom Tiroler Dietmar Schönherr. Sie sorgte für einen legendären Moment der deutschsprachigen Fernsehgeschichte.

Romy Schneider hatte sich damals rar gemacht im deutschsprachigen Raum - nun, zwei Tage bevor ihr Film „Le Train - Nur ein Hauch von Glück“ in den Kinos startete (darin spielt Schneider eine deutsche Jüdin in Frankreich auf der Flucht vor den Nazis), hatte sie diesen Auftritt in der Talkshow des WDR. Schneider, damals in Frankreich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – 1973/74 drehte sie fünf Filme innerhalb von zehn Monaten – war von der Côte d'Azur, den Dreharbeiten des Claude-Chabrol-Films „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“, nach Köln gekommen.

Im Laufe der Sendung legte die gebürtige Wienerin dem Ex-Bankräuber, Autoren und Schauspieler Burkhard Driest eine Hand auf den Arm und sagte mit ihrem unvergleichlichen Schmelz: „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr.“ Knistern im Studio, Empörung auf vielen Sofas. Zuvor war Driest von Schönherr auf seinen Banküberfall als Jusstudent 1965 angesprochen worden. Für den hatte er mehrere Jahre im Zuchthaus verbracht. Ob er seine Tat politisch verstanden habe. Driest führte aus: „Für mich ist politisch nicht, ob jemand sich sagt, dieses, was ich jetzt tue, nenne ich politisch. Für mich ist politisch, wenn es im Kontext gesellschaftlichen Handelns geschieht.“ So sei beispielsweise ein Streik politisch. „Aber wenn ich persönlich jetzt beschließe, Herrn Brandt ein Ei an den Kopf zu werfen, dann ist das nicht politisch. Sondern das ist: unanständig. Oder: ungezogen.“

Die Diva und der Bürgerschreck

Daraufhin sagte Schneider ihr „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr“, wozu man vielleicht wissen muss: Der SPD-Politiker Willy Brandt, den Schneider verehrte, war etwa ein halbes Jahr vorher vom Amt des Bundeskanzlers zurückgetreten.

Driest, der im Herbst '74 am Schauspielhaus Bochum unter Peter Zadek für das Tennessee-Williams-Stück „Endstation Sehnsucht“ probte, hatte über seine Zeit im Gefängnis ein Buch geschrieben. „Die Verrohung des Franz Blum“ war auch verfilmt worden. Breitbeinig, mit offenem Hemd saß er da, markierte den Macho. Romys Bemerkung und Berührung adelte ihn geradezu. Die Diva und der Bürgerschreck.

Der kleine Moment löste große Fantasien aus. Hatten die beiden nach der Show was miteinander? Der im Jahr 2020 mit 80 Jahren gestorbene Driest sagte Jahre später, da sei was gelaufen; da war Schneider aber längst tot (sie starb 1982 mit 43 Jahren). Schneider, die Indiskretionen und Boulevardpresse verabscheute, hätte das nie der Öffentlichkeit verraten.

Nach der Show 1974 beruhigte sich nicht nur die Klatschpresse kaum noch, auch „Der Spiegel“ bezeichnete die Schauspielerin noch Tage nach dem Auftritt als „Venus“. „Sie kam in jenem Schwarz, das Damen ins Dämonische hinüberzüngeln lässt.“ Und: „Mit der Zunge wischte sie feuchten Glanz auf ihre Lippen, in den Augen war das gewisse Glimmen.“ Ja, so schrieb man damals in Qualitätsmedien.

„Keine Fragen über mein Privatleben“, hatte sich „La Schneider“ vorab ausbedungen. Doch Fragen zum Zustand ihrer Ehe mit dem deutschen Regisseur Harry Meyen oder zu ihrem Pariser Alltag waren in der Talkshow gar nicht nötig, um Skandalstoff zu produzieren. Die in der spießigen Bundesrepublik meist noch als Ex-„Sissi“ bezeichnete Filmlegende irritierte Millionen Zuschauer mit ihrem Auftritt, dem aus Frankreich mitgebrachten Glamour und der zugleich schüchternen Art.

„Ich bin wirklich nervös im Moment, und das ist nicht mein Metier“, sagte sie übers Medium Fernsehen und das Talkformat. Sie sagte nicht viele Sätze, machte viele Pausen und Talkmaster Schönherr kämpfte geradezu darum, das Gespräch am Laufen zu halten. Und wenn sie sich nun vorstelle, dass das eine Rolle wäre? „Ja, das wär leichter.“