Jeden Tag eine neue Bombendrohung, Sicherheitskräfte durchsuchen Bahnhöfe auf Sprengstoff, unzählige Bürger sind mit Unannehmlichkeiten konfrontiert. Der Täter oder die Täterin spielt sein Katz-und-Maus-Spiel aus der sicheren Entfernung heraus. Hat sein Bluff funktioniert, hat er für Chaos gesorgt? Den Beleg erhält er nicht zuletzt über Medien.

Wird die Berichterstattung hier unfreiwillig zum Stakeholder eines Verbrechens, indem sie Tätern die ersehnte Bühne bietet? Muss sich Journalismus gar Komplizenschaft vorwerfen lassen? Es ist eine Gratwanderung. Zum einen liegt fraglos ein Informationsbedürfnis vor: Viele Menschen sind von den Sprengstoffandrohungen betroffen und nicht auszudenken, es würde einmal nicht bei der Drohung bleiben. Andererseits ist eine zu breite Berichterstattung Wasser auf den Mühlen des Verursachers, der sich – und dieser Verdacht liegt nahe – nach größtmöglicher Aufmerksamkeit sehnt.

Ein heikles Spannungsfeld ortet Larissa Krainer, Professorin der Uni Klagenfurt am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft in diesem Zwiespalt, hält aber fest: „Aus der gegebenen Unklarheit und dem Gemenge von Bedrohung und Angst lässt sich wohl auch eine klare Informationspflicht der Medien und des seriösen Journalismus ableiten, will man Panikmache, Hetze oder drohende Desinformation in der Beschleunigungs- und Dramatisierungsmaschinerie der sogenannten sozialen Medien vermeiden.“ Die Annahme, dass keine Informationen flössen, würden Qualitätsmedien nicht mehr berichten, hält sie mit Verweis auf andere Plattformen für „gänzlich unbegründet“.

Medienwissenschafterin Larissa Krainer von der Alpen Adria Universität Klagenfurt
Medienwissenschafterin Larissa Krainer von der Alpen Adria Universität Klagenfurt © Uni Klagenfurt/Puch

Zugleich liege es auf der Hand, dass journalistische Berichterstattung Tätern oder Täterinnen Bestätigung bringen und dazu motivieren könne, weiterzumachen und immer neue Bahnhöfe zu adressieren.

Die Wissenschafterin der Uni Klagenfurt sieht hier einen „unauflöslichen Widerspruch, der sich nicht nach der Logik von richtig und falsch auflösen lässt.“ Den einzigen möglichen Weg sieht sie im Streben nach einer Balance: „Zum Beispiel in Form einer Berichterstattung, die schnell, klar und sachlich informiert, wenn Bedrohung besteht und ebenso schnell, klar und sachlich, wenn sie beendet ist.“

Der große deutsche Sündenfall

Das Wesen des Journalismus ist nicht auf den Versuch der Abbildung der Realität reduziert. Dahinter steht keine Mutwilligkeit, sondern eine Zwangsläufigkeit eines kuratierenden, unvollständigen diskursiven Prozesses. Diese natürlichen Unschärfen sind zu unterscheiden von unsachlicher Berichterstattung, etwa in Form von Sensationsjournalismus.

Beispiele dafür, dass Fernseh- oder Zeitungsjournalisten den Grat verantwortungsvollen Umgangs mit kriminellen Ereignissen überschritten haben, gibt es unzählige. Wenige waren im deutschsprachigen Raum so spektakulär wie der Überfall auf eine Bank in Gladbeck und der darauf folgenden dreitägigen Flucht der Räuber – verfolgt nicht nur von der Polizei, sondern auch von Journalisten, die eine große Story witterten. Als sich diese auch noch zu den Kriminellen ins Auto setzten, für Fotos und Interviews, war einer der großen Sündenfälle des deutschen Journalismus perfekt. Am Ende waren zwei Geiseln und ein Polizist tot, die deutsche Presse legt sich einen Ethikkodex auf.