Schwarzer Raum, weißer Raum. Wenn das Publikum zu „Ein Körper : Mein Fließen“ in zwei Gruppen aufgeteilt wird, steht das Binäre am Anfang. Die beiden zimmergroßen Bühnen trennen einige Meter und 183 Jahre. Hier die Erzählung von „Gabriel“ (1839) von George Sand, dort das „Blutbuch“ (2022) von Kim de l’Horizon. Gespielt wird parallel und in der Pause in den anderen Raum gewechselt.
Zuerst Gabriel, dessen Geburt zugleich Gnade des Schicksals und Verbrechen ist. Gnade, weil in eine Fürstenfamilie hineingeboren, Verbrechen, weil schamlos zum Mann erzogen. Die Auseinandersetzung mit wahrer und vermeintlicher Geschlechteridentität ist eingewoben in ein herrschaftliches Liebes- und Familiendrama, die Selbstwerdung geschieht schmerzhaft über die Bande der Macht, und wird von Gina Mattiello, Werner Halbedl und Alexander Kropsch schlüssig mit Gespür als Kammerspiel verdichtet.
Aus, Schuss, Ende. Vom vergleichsweise distanzierten Drama „Gabriel“ geht es in Kim de l’Horizons Monolog mit Oma ins Unmittelbare. Was Ninja Reichert mit dieser Solo-Darbietung gelingt, ist phänomenal. Kompromisslos und verletzlich erfüllt sie das mit dem Deutschen Buchpreis prämierte „Blutbuch“ mit allem, was er ihr abverlangt. Das Publikum kann sich in diesem intimen Rahmen nicht entziehen, nicht distanzieren, nicht in Deckung gehen.
Beide 80-minütigen Stücke (Ausstattung: Yvonne Beck) funktionieren für sich, dennoch hat ihre Parallelschaltung korrespondierenden Mehrwert, am Gemeinsamen und Trennenden treten die Konturen hervor. Für die anstehende Eröffnung des von Theater Quadrat und AXE betriebenen Theaterhauses ist diese Inszenierung Glücksfall und Versprechen. DH
„Ein Körper : Mein Fließen“. Theaterhaus, Kaiser-Franz-Josef-Kai 50, Graz. 4., 5., 11., 12. Oktober, 19 Uhr. Karten: 0699 171 62 819.