Manche Teilnehmer sprechen von einer „Bombe“, die just am Morgen der letzten ORF-Stiftungsratssitzung vor der Wahl hochging. Das Magazin „Dossier“ konnte den Bericht der Evaluierungskommission einsehen, die 2023 die Amtsführung des ORF-Landesdirektors in Niederösterreich, Robert Ziegler, beurteilte. Ziegler war Anfang 2023 von seinem Amt als Landesdirektor zurückgetreten, um den Ergebnissen eben jener Kommission zuvorzukommen. Der Bericht selbst wurde vom ORF nie veröffentlicht, sondern geheim gehalten.
Die nun bekannt gewordenen Auszüge zeichnen dennoch ein düsteres Sittenbild von Zieglers Amtszeit, aber offenbar auch von der Zeit davor, als er Chefredakteur in NÖ war. So soll Ziegler politisch nicht genehme Beiträge in den ORF-Medien „abgedreht“ oder Änderungen angeordnet haben, wenn ÖVP-Politiker vorkommen wollten. Kritische Beiträge sollen entschärft oder gar untersagt oder verzögert worden sein. In dem Bericht, für den immerhin 50 ORF-Mitarbeiter befragt wurden, ist auch von mangelnder professionellen Distanz zu ÖVP-Politikern wie auch die Herabsetzung, Demütigung und Bloßstellung von Redakteuren die Rede.
Der 25-Seiten-Bericht ortet offenbar „systematischen Machtmissbrauch“. Ziegler soll sich als Chefredakteur ab 2015 und als Direktor ab 2021 über das ORF-Gesetz und die Programmrichtlinien hinweggesetzt haben. Profitiert davon habe die ÖVP, die in der Folge seinen Aufstieg zum Direktor unterstützte, so die Vorwürfe. Denn Landesdirektor im ORF kann nicht irgendjemand werden. Denn die Landeshauptleute haben ein „Anhörungsrecht“ bei der Wahl des jeweiligen ORF-Landesdirektors. So steht es im ORF-Gesetz.
Ziegler selbst, der noch immer im ORF arbeitet, sah sich bei seinem Rückzug als Opfer einer Intrige und wollte nicht Stellung nehmen. Die Kommission weist den Vorwurf der Intrige in ihrem Bericht allerdings zurück. Es widerspreche „jeglicher Lebenserfahrung, dass sich mehrere Dutzend Personen zum Nachteil eines Dritten verabreden. Dies mag bei drei oder vier möglich sein, aber nicht bei einer so großen Anzahl von Auskunftspersonen, die ein deutliches Licht auf das System Ziegler warfen.“
Empörung bei den ORF-Stiftungsräten
Nach dreieinhalb Stunden Diskussion beauftragte der Stiftungsrat am Donnerstag Generaldirektor Roland Weißmann mit der nochmaligen Beurteilung des Berichts, ob sich daraus nicht doch weiterer Handlungsbedarf ergibt. Veröffentlicht wird der Bericht jedoch nicht, auch nicht in einer anonymisierten Zusammenfassung – einen Antrag dazu lehnte der Stiftungsrat ab. Grund: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die von der Kommission befragt wurden, wurde Vertraulichkeit versprochen. Diese will sowohl Stiftungsrat als auch Geschäftsführung wahren.
Heinz Lederer, der für die SPÖ im ORF-Stiftungsrat spricht, zeigte sich „enttäuscht“, dass es keine Mehrheit für eine Veröffentlichung unter Wahrung der Anonymität gäbe, da große Teile der Grünen Fraktion nicht mitgestimmt hätten. „Der Image-Schaden für den ORF mitten im Wahlkampf ist angerichtet“, so Lederer. Man dürfe sich „nicht wegducken“. FP-Rat Peter Westenthaler ortet einen „Skandal“ und fordert Weißmann auf, den Bericht vorzulegen und eine Entlassung zu prüfen. Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter will Weißmanns Rolle als „schützende Hand“ über Ziegler hinterfragen: „Die schweren Verfehlungen Zieglers blieben ohne ernsthafte Konsequenzen. Er wurde einfach versetzt – ein fatales Zeichen.“
ORF-Chef Weißmann weist das zurück: Es seien 2023 alle möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen erwogen worden, da ein klares Fehlverhalten samt Bruch des ORF-Gesetzes durch Ziegler festgestellt wurde. Eine Kündigung hätte jedoch „das Risiko eines jahrelangen Arbeitsprozesses mit unklarem Ausgang“ nach sich gezogen, betont Weißmann. Ziegler habe zudem durch die neue Position erhebliche Gehaltseinbußen erfahren. Weißmann verweist auch auf das neue Redaktionsstatut sowie den neuen Ethikkodex: „So ein Verhalten wäre heute undenkbar!“
ORF-Stiftungsrat
Bernhard Baumgartner