Tokio im Jahr 1989: Zwei ältere Frauen sitzen einander gegenüber, es wird Reis serviert. Reis der koreanischen Machart. Plötzlich fließen Tränen. Den Geschmack der Heimat hat sich Sunja (Oscarpeisträgerin Yoo Yeo-jong, „Minari“), in jungen Jahren vom besetzten Korea nach Japan ausgewandert, zu diesem Zeitpunkt lange nicht mehr auf der Zunge zergehen lassen. Was für die einen ein herkömmliches Mahl sein mag, ist für andere Erinnerung an die kulturelle Identität – das scheint in diesem beseelenden Moment durch.
Momente, die in der Apple-Serie „Pachinko“ nicht rar gesät sind. In der ersten Staffel nahm man sich - basierend auf der gleichnamigen Vorlage der aus Korea stammenden New Yorkerin Min Jin Lee - einer Generationen und Nationen übergreifenden Familiengeschichte an. Mission geglückt. Die ergreifende Mär über Liebe, Loyalität und Herkunft wurde tadellos fürs Streamingzeitalter adaptiert.
Zwischen den Welten
Mit Staffel zwei wird die Familiensaga nicht minder rührend weitergesponnen. Wieder spielt sich das Hauptgeschehen auf zwei Zeitebenen ab, die mehr als fünfzig Jahre trennt. Von ihrer Flucht aus dem unter japanischer Herrschaft befindlichen Korea hatte sich Sunja (als junge Erwachsene: Kim Min-ha) ein simpleres Leben erhofft. In Japan gäbe es mehr Optionen, hat man ihr gesagt. Pustekuchen: Die Diskriminierung ist präsent wie eh und je, Akzeptanz findet sie allenfalls im Koreatown Osakas.
Die erste Staffel endete mit einem großen Schock: Pastor Isak (Steve Sang-Hyun Noh), ihr frisch vermählter Ehemann, wurde zu einer Gefängnisstrafe verdonnert. Er hätte dem Willen des Kaisers widersprochen. Wäre das nicht genug des Übels für die junge Mutter und ihre zwei Sprösslinge, bahnt sich zu Anfang der aktuellen Staffel neues Übel an. Feindlich gesinnte Flugblätter amerikanischer Truppen flattern zu Boden – der Zweite Weltkrieg naht. Auf der zweiten Zeitebene, im Jahr 1989, trauert Enkelsohn Solomon (Jin Ha) seiner Karriere als Banker nach – zuletzt hatte er diese für eine alte Dame aufs Spiel gesetzt.
Ein Glücksgriff im Apple-Angebot
Apropos Spiel: Hinter dem titelgebenden „Pachinko“ verbirgt sich ein beliebter, buntglitzernder Geldspielautomat, den man in der Serie immer wieder zu sehen bekommt. Papa Mozasu (Soji Arai) betreibt eine Pachinko-Halle – ein Plotpunkt, der in der zweiten Staffel wichtig werden sollte. Das Spiel nimmt, wie man schon der toll bebilderten Titelsequenz entnehmen kann, symbolischen Charakter ein. Für viele Koreaner war das Aufkommen der Pachinko-Casinos eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs – bis heute steht ein Milliardengeschäft dahinter.
Einem Glücksspiel nicht unähnlich ist demnach auch die Erzählung. Aufs Ganze gehen oder Risiken gar nicht erst eingehen? Fragen, mit denen man sich in Zeiten des Wandels konfrontiert fühlt. Vergangenheit und „Gegenwart“ gehen fließend ineinander über. Historische Konflikte hinterlassen Spuren der Verwüstung, während persönliche Wunden noch gar nicht verheilt sind. Die Nähe, die Showrunnerin Soo Hugh zu ihren Figuren zulässt, ist einmalig. Trotz des Leids und des Verlusts schwebt über allem ein Schleier der Menschlichkeit. „Pachinko“ bleibt ein nahegehendes, nie übersentimental anmutendes Einwandererepos, in dem sich viele wieder erkennen werden. Diese Geschichten und Sichtweisen, so viel steht fest, sind es wert, gesehen und gehört zu werden.
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Christian Pogatetz