Aufstehen mit Wasserspringen und Golf, einschlummern bei Leichtathletik und Basketball. Jede Übertragung ein Disziplinen-Crashkurs, stetes Abgleichen mit den eigenen (Un-)Fertigkeiten unumgänglich, Mitfiebern Pflicht. Man wünschte, die Olympischen Spiele in Frankreich mögen nie enden. Die letzten großen Festspiele des linearen Fernsehens erweisen sich nicht nur durch sportliche Weltklasse als grandios, mitreißend sind auch die Übertragungsleistungen: Noch nie wurde Segeln, Schwimmen oder Klettern in dieser Qualität auf die kleinen und großen Bildschirme übersetzt. Das Zuschauerinteresse an diesem Fest ist enorm, beim ORF fallen bei diesen Spielen etliche Teletest-Olympia-Rekorde.

Für den ORF wurden die 490 Stunden an Olympia-Übertragungen allerdings zum Spagat, die einsetzende Fußball-Saison erhöhte die Kollisionsgefahr im ohnehin schon dichten Programm. Das führte zu erhöhtem Erklärungsbedarf. Ein Beispiel: Im gefühlten 20-Minuten-Takt musste Oliver Polzer erklären, warum das Tennis-Finale und das Radrennen mit Anna Kiesenhofer abwechselnd gezeigt werden. Warum darf nicht auf ORF Sport+ ausgewichen werden? Eine Frage, die in den vergangenen zwei Wochen oft beim Beschwerdetelefon des ORF gelandet sein dürfte.

ORF-Gesetz gibt die Richtung vor

Die Erklärung liegt im ORF-Gesetz: Dieses sieht für den Spartensender Sport+ einerseits vor, dass dieser nur über Sportarten zu berichten hat, „denen üblicherweise in der österreichischen Medienberichterstattung kein breiter Raum zukommt“. Zweites Kriterium ist eine Liste: Nicht gezeigt werden dürfen definierte Premium-Sportarten, beispielhaft werden im Gesetz Formel 1, Fußball-Bundesliga oder Skiweltcup genannt. Spannender Teilaspekt: Bietet der ORF Sportrechte der privaten Konkurrenz an und hat diese kein Interesse, fällt diese Übertragung jedenfalls nicht unter die Kategorie Premium.

In der Praxis kommen bei der Frage, wobei es sich um Premium-Sport handelt, verschiedene Parameter zum Zug: Gibt es Erfolgsaussichten für heimische Athleten? Wie hoch waren die TV-Quoten? Relevant ist auch „die Intensität der Print und Online-Berichterstattung von wesentlichen Tageszeitungen“, erklärt Martin Szerencsi aus der Rechtsabteilung des ORF. In der Praxis ist die Einordnung also komplex.

Angenommen ein österreichischer Schütze gewinnt überraschend Olympia-Gold – kann das bedeuten, dass alle weiteren Bewerbe mit diesem Sportler plötzlich Premium-Sport sind? Nein, kurzfristige Ereignisse, die unübliche Auswirkungen auf die Medienpräsenz eines Bewerbes haben, können nach der Rechtsprechung außer Betracht bleiben, klärt Szerencsi auf. Freilich steht es dem ORF frei, wie heuer bei dem nicht erwartbaren Erfolgslauf der österreichischen Handball-Herren bei der EM, Nicht-Premium-Sport in ORF 1 zu zeigen. Premium-Sport muss jedenfalls immer auf einem Hauptsender zu sehen sein.

Bei einem Verstoß gegen das ORF-Gesetz schaltet sich die Medienbehörde KommAustria ein. Empfindliche finanzielle Sanktionen drohen, erklärt Serencsi: „Ein sogenanntes Abschöpfungsverfahren, bei dem der ORF die gesamten Programmherstellungskosten zu zahlen hat.“

Tennis gehen Radfahren

Aufgrund der Vorgaben des EU-Beihilfenrechts ist das Premium-Sportverbot nicht leicht veränderbar. Im internationalen Vergleich hat der ORF mit dem linearen Sportspartenprogramm ein Alleinstellungsmerkmal, betont Szerencsi: „Es gibt kaum andere öffentlich-rechtliche Sender mit diesem linearen TV-Angebot. Zumeist werden – wenn überhaupt – Randsportarten von anderen öffentlich-rechtlichen Sendern im digitalen Angebot als Livestreams angeboten.“

Freilich, der ORF könnte auf ORF 2 ausweichen, hätte dort das Tennis-Finale zeigen können, während Kiesenhofer im Einser um die Titelverteidigung kämpft. Man entschied sich dagegen. Vermutlich, weil man am Küniglberg ein noch eifriger läutendes Beschwerdetelefon vorausahnte.