Es ist Herbst 1997, aus den Walkmans aufständischer Teenager bläst der unangepasste Sound des Notorious B.I.G. - dem berüchtigten Gangsterrapper, der wenige Monate zuvor einem tödlichen Attentat zu Opfer gefallen war. Resultat der Bandenkriege zwischen East-Coast- und West-Coast-Hip-Hop. Auf den Straßen herrscht Krieg und der aufmüpfige Zeitgeist der trendigen Musik hat auch im kanadischen Kleinstädtchen Saanich, wie besorgte Eltern meinen würden, die Jugend verdorben. Wer das Cliquengefälle durcheinander bringt, muss mit harschen Konsequenzen rechnen.

Die 14-jährige Reena (Vritika Gupta), Abkömmling indischstämmiger Zeugen Jehovas, will eigentlich nur dazugehören, den coolen Kids imponieren, ihr Außenseitertum passé sein lassen. Als sie böse Gerüchte über Josephine (Chloe Guidry), der selbsternannten Queen B der Mädchengruppe, in Umlauf bringt, schwört man auf Rache. In Begleitung der gesamten Gang wird Reena aggressiv unter eine Brücke gehetzt. Was genau hier vorgefallen sein soll, darauf kann sich zunächst niemand einen Reim machen. Fakt ist, dass Reena nicht mehr wieder auftauchen würde.

Die tragische Erzählung, deren Mysterium es in acht nervenaufreibenden Episoden zu lösen gilt, ist keine erfundene. „Under the Bridge“ erweckt den gleichnamigen Roman der 2022 verstorbenen Bestsellerautorin Rebecca Godfrey zum Leben, die den leider ganz realen Mord an Reena Virk und mögliche Tatmotive analysierte. In der Serienadaption wird das schwierig zu durchschauende Geflecht aus Mobbing, Rassismus und jugendlicher Gewaltbereitschaft erneut aufgearbeitet.

Aus der unmittelbaren Perspektive von Autorin Godfrey, die durch Elvis-Enkelin und Serien-Conaisseurin Riley Keough (“Daisy Jones & the Six“) verkörpert wird - mit Finesse und Feingefühl versteht sich. Der wahre Star ist allerdings Lily Gladstone, die als empathische Ermittlerin Cam Bentland, eine frei dazugedichtete Figur, den Fall in die Hand nimmt. Die aufstrebende Schauspielerin, die für ihre Sensationsdarbietung im Völkermorddrama „Killers of the Flower Moon“ Anfang des Jahres Oscarruhm erntete, beweist, dass sie keine Eintagsfliege ist.

Als junge Indigene, über ihre Adoptivfamilie in den Polizeikosmos eingeschleust, kennt Cam die Schattenseiten des Systems nur zu gut. Mit kritischem Auge wird auf Fehler während der Suche nach der Vermissten hingewiesen; Fehler, die wahrscheinlich nicht geschehen wären, hätte diese eine andere Hautfarbe gehabt. Trotz gewisser Freiheiten, zollt man dem Opfer und den Hinterbliebenen nötigen Respekt. Über Rückblenden ergibt sich die Familiengeschichte: eine Geschichte über Migration und soziale Ausgrenzung, wie man sie im Mainstreamfernsehen nicht oft zu sehen bekommt. Erschütterndes, konsequent erzähltes True-Crime-TV.

Wertung: ●●●●○