Bei Rap-Konzerten, so scheint es, gehört es zum guten Ton, verspätet auf die Bühne zu kommen. Oder erst gar nicht. Wenn die ersten zwei Tage am Magna Racino in Ebreichsdorf etwas bewiesen haben, dann das: Nur weil ein Künstlername im Festival-Line-Up auftaucht, bedeutet das nicht automatisch, dass dieser auch auftreten wird.
Es hagelte Absagen, die mal besser, mal schlechter kommuniziert wurden: Trendige Acts wie Sexyy Red, Flo Milli oder Chief Keef haben spontan das Handtuch geworfen. Als am frühen Sonntagabend der groß angeteaserte Offset, Drittel der einflussreichen „Migos“ und Ex von Bling-Rapperin Cardi B, einfach nicht zu erscheinen mag, befürchtet man Schlimmstes. Über die Festivalapp konnte man dann immerhin zeitgerecht Entwarnung geben: Offset werde noch auftreten, durch einen verzögerten Flug aber mit deftiger Verspätung. Das Konzert sollte nun erst um 21 Uhr über die Bühne gehen – statt auf der großen „Loud Stage“ auf der kleineren „Snipes Stage“.
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Wie Feuer und „Ice“
Erstaunlich gut in der Zeit ist dagegen der zweite große Abschluss-Headliner: Ice Spice. Nein, hier handelt es sich um kein verschollenes Spice Girl, sondern die aktuell gehypteste Jungrapperin der Szene. Als Senkrechtstarterin hat die 24-Jährige, die statt gewohntem, feuerrotem Afro mit langen, geglätteten Haaren in Erscheinung tritt, die Generation TikTok im Flug erobert. Mit Songs übers Chillen, über dicke „Bootys“ und Wortspielen, die mit Fäkalien zu tun haben. „Think you’re the shit? You’re not even the fart“, rappt sie ins Mikro, während man ihr giftgrünes Kleid in Kombi mit den langen, roten Haaren als Hommage an Batman-Bösewichtin Poison Ivy verstehen könnte.
In ihren jungen Jahren hat die Studienabbrecherin, die bürgerlich Isis Naija Gaston heißt, sich schon den größten musikalischen Traum ihrer Altersgenossen erfüllen können: einmal ein Feature mit Superstar Taylor Swift aufnehmen. Als dieses angestimmt wird, zeigt sich allerdings, dass der Swift-Mythos und Hip-Hop zwei völlig unterschiedliche Welten sind. „Swifties, make some noise“, ruft sie ins Publikum. Es folgt Funkstille. Die junge Rap-Dame aus der Bronx sollte man als Talent aber im Auge behalten. Grundsolider Flow gepaart mit frech gewitzten Texten und gutem Gespür fürs eigene Publikum. Auch wenn zur Abwechslung keine Swifties mit dabei sind.
Noch während die Rap-Künstlerin ihre Show abzieht, suchen erste Regenwolken das staubige Gelände heim. Im Laufe des Abends sollte sich die Wetterlage nur verschlechtern. Ausgerechnet der sowieso nach hinten verlegte Auftritt von Offset muss darunter leiden: Nach nur 20 Minuten ist Schluss, aufgrund heftiger Blitz- und Donnerschläge wolle man kein Sicherheitsrisiko eingehen. Verständlich, aber trotzdem schade.
Bis dahin war der Auftritt eines der Highlights am Festival; mit ansteckender Energie nahm der 33-Jährige die Meute binnen Sekunden für sich ein und würdigte auch alte „Migos“-Zeiten. Seinem früheren Bandkollegen „Takeoff“, der 2022 bei einer Schießerei tragisch ums Leben gekommen war, widmete er eine Nummer. Danach zog das Wetter verfrüht den Schlussstrich.
Ein unberechenbarer Megastar und organisatorische Baustellen
Ob die restlichen Konzerte des Abends überhaupt stattfinden können, ist zu diesem Zeitpunkt ungewiss. Dabei warten vor der Loud Stage tausende Jünger schon seit Stunden auf ihren Erlöser: Travis Scott. Der zehnfach Grammy-nominierte Rapper und Versewriter gehört zu den größten Namen im Business; nicht umsonst waren viele extra nur für ihn angereist. Dabei sollte man sich bei Großkonzerten des Künstlers in Acht nehmen. Beim eigens organisierten „Astroworld Festival“ kam es 2021 zu einer Massenpanik, die zehn Fans das Leben kostete. Ohnehin bleibt aber bis zur letzten Minute unklar, ob er denn wirklich kommen würde.
Als um knapp 23 Uhr, das Gewitter ist nun längst weitergezogen, sich auf der Bühne noch immer nichts bewegt, wird die Masse unrund. Erste Buhrufe erklingen, Plastikbecher fallen nach vorne. Doch dann steht er, knapp zwei Stunden verspätet, auf einmal wirklich da: Der Mann, der Mainstream-Rap seine rebellische Ader zurückschenkte und Industriegiganten wie Kid Cudi oder Drake zu ihren spannendsten Projekten verhalf. Sein nonchalant draufgängerisches Auftreten mag kalkulierter Markenstärkung gewichen sein, doch eines muss man Jacques Bermon Webster II – so wurde Scott geboren – lassen: Eine aufregende Show kann er weiter auf die Beine stellen.
Mangelnde Wasserversorgung, mühsame Abreise
Den Festival-Organisatoren kann man dieses Lob nicht unbedingt aussprechen. Trotz leerer Versprechen kehrte am Wochenende immer wieder großes Chaos ein: Touristen, die sich am Gelände nicht zurechtfinden, mangelnde Wasserversorgung, eine mühsame Abreise.
In einem aktuellen Interview wehrte sich Veranstalter Klaus Leutgeb: „Wir haben ein Drittel der Besucher nach Wien mit Shuttlebussen geschickt – 2:30 Stunden Gesamtdauer.“ Vielleicht wäre die Zeit ja sogar noch kürzer, würde der Fußweg zurück, entlang Wald, Wiese und Brücke, nicht so gefährlich schmal sein? Wirklich festivalreif ist diese Location, trotz einzelner Verbesserungen, auf jeden Fall noch nicht.
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Christian Pogatetz