Es war der Aufreger im EU-Wahlkampf, der seinen publizistischen Anfang in der Berichterstattung durch die Tageszeitung „Der Standard“ fand. Zahlreiche andere Medien griffen die Berichterstattung auf, einige nannten auch Namen, die im „Standard“-Artikel ausgelassen wurden.
Recherchiert wurde im persönlichen Umfeld Schillings, berichtet wurde, dass sie über mehrere Personen in ihrem Freundeskreis wie auch im politischen Umfeld schwerwiegende Gerüchte und Unwahrheiten verbreitet habe. So habe sich Schilling über eine angebliche Fehlgeburt einer Freundin infolge häuslicher Gewalt ohne Beleg dafür geäußert.
Zahlreiche Beschwerden gingen deswegen beim Österreichischen Presserat ein, medienethische Bedenken wurden darin artikuliert, im Zentrum stand zudem die Frage, ob die veröffentlichten Informationen für die Öffentlichkeit relevant seien. Kritisch diskutiert wurde auch, ob die gewahrte Anonymität der Befragten in diesem Fall journalistisch korrekt sei.
Der Senat 1 des Presserats sieht in der „Standard“-Berichterstattung zwei Vergehen gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse: Einerseits wurde gegen die „gewissenhafte und korrekte Wiedergabe von Nachrichten“ (Punkt 2.1) verstoßen, andererseits ortet der Presserat ein Vergehen gegen die „anonyme Zitierung“ (Punkt 2.2).
Meinung
Verstoß 1: Zur Recherche und Wiedergabe durch das Medium
Der Senat verweist auf seine bisherige Entscheidungspraxis, wonach auch Informationen über das private Verhalten von Politikerinnen und Politikern vom öffentlichen Interesse gedeckt sein können. Das sei vor allem dort der Fall, wo private Verhaltensweisen den politischen Positionen widersprechen. „Dies gilt auch im Fall von Lena Schilling, die im EU-Wahlkampf bis zu einem gewissen Grad mit ihrer moralischen Integrität geworben hat, insbesondere auf ihren Wahlplakaten mit der Aussage ,Herz statt Hetze’“, heißt es in der Begründung des Presserats.
Das führe aber nicht dazu, „dass dabei die journalistische Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen werden darf.“ Der Senat sieht es als „problematisch“ an, „dass der Bericht zahlreiche weitere Passagen und (anonymisierte) Zitate enthält, die ausschließlich persönliche Wertungen und Meinungen zu Lena Schilling enthalten (u. a. ,Vertrauen junger Menschen ausgenutzt’, ,Verbrannte Erde in Teilen der Klimabewegung´, ,mehr als hinterfragenswerter Umgang mit jungen Menschen’).“
Insgesamt entstehe der Eindruck, „dass Lena Schilling einen mangelhaften Charakter und möglicherweise sogar an psychischen Problemen leiden könnte.“ Dieser Vorwurf sei „ungewöhnlich“ und wiege „unverhältnismäßig schwer.“ Abschließend befindet der Senat, dass die Autoren grundsätzlich sorgfältig recherchiert hätte, dennoch wäre es geboten gewesen, „auf jene anonymisierten Zitate zu verzichten, die lediglich Werturteile zur Person Lena Schilling enthalten“. Es liege daher ein „Verstoß gegen das Gebot einer gewissenhaften und korrekten Wiedergabe von Nachrichten vor (Punkt 2.1 des Ehrenkodex).“
Verstoß 2: Zur Anonymisierung der Zitate
Der Presserat erachtet anonyme Zitierungen grundsätzlich dann zulässig, „wenn es um die Sicherheit der zitierten Person oder die Abwehr eines anderen schweren Schadens von dieser geht“. Schwer wäre ein Schaden etwa dann, wenn die vollständige Namensnennung das berufliche Fortkommen der zitierten Person erschweren würde. Eine Grenze sei jedoch dort erreicht, wo anonyme Zitate lediglich dazu dienen, den Charakter einer einzelnen Person in ein negatives Licht zu rücken, heißt es vom Presserat dazu. Dies war im Fall des „Standard“-Berichts der Fall.
Hier ortet der Senat 1 ein Vergehen: Seiner Meinung nach wäre es erforderlich gewesen, bloß über die konkreten und belegten Vorwürfe gegenüber Schilling zu berichten: „Auf die anonymisierten Zitate, die ausschließlich den Zweck haben, nicht überprüfbare negative Wertungen über den Charakter der betroffenen Politikerin vorzunehmen, hätte das Medium hingegen verzichten müssen.“
„Anonyme Heckenschützen hätten somit ein leichtes Spiel“
Abschließend verweist der Senat darauf, dass er wisse, hier eine strenge medienethische Grenze zu ziehen: „Der Senat hält diese Positionierung jedoch für angebracht, andernfalls wäre es möglich, in Artikeln oder Porträts von öffentlich bekannten Personen bloß eine Reihe von anonymisierten negativen Werturteilen wiederzugeben und damit die betroffene Person zu diskreditieren (anonyme ‚Heckenschützen‘ hätten somit ein leichtes Spiel).“ Mit einem vergleichbaren Fall habe sich der Presserat bisher nicht befasst.