Es war keine Liebe auf den ersten Blick: Als Marie-Sophie Kreissl, wie Kaleen bürgerlich heißt, letzten Frühherbst zum schwedischen Hitproduzenten Jimmy „Joker“ Thörnfeldt flog, der einen Song mit seinem dänischen Kollegen Thomas Stengaard geschrieben hatte, konnte sie mit dem Titel „We Will Rave“ im ersten Moment wenig anfangen. Die Chance, beim Eurovision Song Contest mit einer Nummer von zwei siegreichen ESC-Komponisten anzutreten – Thörnfeldt schrieb bei Loreens „Tattoo“, Stengaard bei „Only Tearsdrops“ von Emmelie de Forest mit –, wollte sie sich aber nicht entgehen lassen.
Raves sind Anfang der 1990er-Jahre aufgekommene Dance-Partys, auf denen zu Techno und anderer elektronischer Musik getanzt wird – nicht selten in ungewöhnlichen Locations wie etwa aufgelassenen Lagerhallen. Toben, Rasen, Ekstase – so könnte man den Begriff umschreiben. Profi-Tänzerin Kaleen, die sich am Feierabend lieber die Zeit auf der Couch mit Gesellschaftsspielen als mit dem Abhängen in Clubs vertreibt, münzte in ihrem Kopf den Titel um. Die Botschaft könne auch „We Will Dance, We Will Sing, We Will Live“ sein, wie sie erklärt, denn für mich „verkörpert dieser Song Stärke und Positivität, selbst in Momenten der Verletzlichkeit. Der Rhythmus wäscht den Schmerz weg und schenkt Zuversicht“, erklärt die 29-Jährige. Nachsatz: „Dafür muss es nicht drei Uhr in der Nacht in einem Party-Keller sein!“
Im Wettbewerb stand die Oberösterreicherin bisher beim Castingformat „Got To Dance“ (2013 auf ProSieben); als Sängerin hat sie letzten Herbst ihr kaum beachtetes Debütalbum „Stripping Feelings“ veröffentlicht. Das soll sich durch den ESC ändern. Neue Songs (u. a. mit dem skandinavischen Team produziert) stehen bereit, für die Karriere setzt sie gemeinsam mit ihrem Verlobten Marvin Dietmann (Choreograf und Stage Director, der Conchitas triumphalen Auftritt 2014 in Kopenhagen in Szene gesetzt hat) viel Eigenkapital ein – mehr als 250.000 Euro. Unter anderem für das Video und Branchen-Profis, die das Styling, Social Media, Foto-Shootings und kreative Entwicklung betreuen. „Wir wissen, dass diese ESC-Reise eine einmalige Sache ist und wir investieren müssen, um das Bestmögliche herauszuholen“, erzählt Kaleen.
Viel nackte Haut im Vorfeld
Mit ihren Outfits wusste sie im Vorfeld zu polarisieren (etwa bei „Die große Chance“ im ORF), da fehlte nur noch die Stange wie in einer Gogo-Bar oder in einem Strip-Club. Die Devise „Woki mit deim Popo“ navigierte Österreich allerdings schon einmal ins Aus. Nun denn: Die Performance auf der Bühne von Malmö mit ihren vier Tänzern ist nun Europa-reif, zwei Kostüme hat Kaleen bei den Proben ausprobiert. Jeweils mit einem Mantel zu Beginn, darunter funkeln Swarovski-Steine.
Fernsehluft schnuppert sie schon seit einem Jahrzehnt, ob als Tänzerin beim „Silvesterstadl“ oder bei einer der „Starnächte“. Beim Junior Song Contest war sie mehrmals als Choreografin und Künstlerbetreuerin im Einsatz. Auch beim „echten“ Song Contest hatte sie Jobs, so fungierte sie immer wieder als Bühnendouble bei den Proben für teilnehmende Künstlerinnen, etwa 2018 in Lissabon u. a. für Zyperns Eleni Foureira. Ihre Vorbilder? Beyoncé, Dua Lipa und Ariana Grande.
Ihren Künstlernamen hat sich die zielstrebige Marie-Sophie übrigens schon im Teenager-Alter ausgesucht. Als sie mit ihren Schwestern daheim Castingshows nachspielte. Kommende Woche ist es kein Spiel mehr, „aber ich gehe ohne Angst in diese Herausforderung“, sagt sie.