So schaut es also aus, wenn Hybris, Übermut und närrischer Freudentaumel auf anerzogene Zurückhaltung treffen: „Es läuft doch ganz gut, oder?“, wird Prinz Andrew während des Interviews sagen. Es ist selten, dass man Zeuge von einer Fehleinschätzung epochalen Ausmaßes wird. Wobei das wohl selbst eine Fehleinschätzung ist, denn Prinz Andrew, angeblicher Lieblingssohn von Queen Elizabeth II., lebt in einer Welt fernab der Welt. Es ist eine Welt, in der man nimmt und kriegt, selten selbst was gibt, sondern vielmehr einem gegeben wird. Es ist das Leben eines Königssohns. 2019 wollten er und sein Umfeld seine Verstrickungen im Missbrauchsskandal rund um US-Unternehmer Jeffrey Epstein aus der Welt schaffen. Ein bisschen reinwaschen, weil es ärgerlich ist, wenn man ständig mit der alten gleichen Leier konfrontiert wird: Missbrauch von Minderjährigen? Das ist halt unangenehm. Da kam eine Interviewanfrage der BBC gerade recht. Der Netflix-Film „Scoop“ rekapituliert die Geschehnisse rund um das Zustandekommen des Interviews und hebt klug vor allem die Frauen hervor, die hinter dem Interview standen, darunter Sam McAlister (Billie Piper), die das Interview eingefädelt hat und Journalistin Emily Maitlis (Gillian Anderson), die den Royal für die BBC-Sendung „Newsnight“ interviewt hat.
Bekanntlich wurde das Gespräch zum von den Iniatorinnen erhofften Fiasko, der 64-Jährige bekannte sich freimütig zur Freundschaft mit Epstein, verstrickte sich in Widersprüche – und es fiel ihm nicht einmal auf. Bis der öffentliche Aufschrei nach der Ausstrahlung ihm einen Blick in die reale Welt gewährten. Für mehrere Jahre in Ungnade gefallen und bei offiziellen Anlässen unerwünscht, war er zuletzt wieder beim österlichen Kirchgang zu sehen. Dass „Scoop“ die Geschichte wieder neu aufkocht, dürfte ihm weniger gefallen. Vermutlich dachte er bei dem Befreiungsschlag an jenes Interview, das Lady Diana 1995 dem BBC-Redakteur Martin Bashir gegeben hat. Dort fiel der legendäre Satz: „Wir waren zu dritt in dieser Ehe“, sie erzählte von der Affäre zwischen Charles mit Camilla. Im Gegensatz zum Interview mit Andrew, wurde dieses Gespräch für die BBC zum Fiasko, nachdem sich herausgestellt hat, dass Bashir sogar Dokumente gefälscht hat, um die Prinzessin zu manipulieren und sich das Interview zu erschleichen. Hinzu kam, dass die BBC sein Fehlverhalten zunächst vertuscht hatte. Über Jahre musste die Fernsehanstalt an mehrere Betroffene Schadenersatz zahlen.
Dass Harry und Meghan 2021 lieber CBS statt BBC für ihr Interview mit Oprah Winfrey ausgewählt haben, liegt nahe. Die beiden gingen mit dem Königshaus ordentlich ins Gericht: von Rassismus, Suizidgedanken und Enttäuschungen war da die Rede. Das Interview war der erste nachhaltige Sprung im Beziehungsgeflecht mit den Royals. Einmal mehr zeigt sich, dass die Strahlkraft solcher Interviews enorm ist, aber auch die Folgewirkungen.