Bei Live-Action-Adaptionen animierter Stoffe drängt sich meist die Frage nach dem „Warum“ auf. Warum sollte man sich als Zuschauer recyceltem Material hingeben, wenn das Original sowieso kaum Makel aufweist? Warum eine fantasiereiche Erzählung, die nicht ohne Grund als Cartoon gedacht wurde, den Grenzen des realistisch Darstellbaren unterordnen? Wenig anders verhält es sich mit „Avatar - Der Herr der Elemente“ – dem Versuch, der gleichnamigen Trickserie von Nickelodeon mehr oder weniger neues Leben einzuhauchen. Mit „Avatar“, nicht zu verwechseln mit der blau gefärbten „Pocahontas“-Hommage von James Cameron, schuf sich der Kindersender 2005 ein unvergleichliches Fantasy-Epos, das zum Kult avancierte. Auf dem Medienportal IMDb gehört die animierte Ursprungsserie zu den zehn höchstbewerteten aller Zeiten, im Ranking steht sie noch vor Sensationsformaten wie „Die Sopranos“ und „Game of Thromes“.
Ein respektabler Ruf, der nicht ganz unverdient ist. Drei Staffeln lang behandelte man ungemein reife Themen wie Völkermord und Faschismus, nahm sich Lehren der östlichen Philosophie an, ließ unterschiedliche Auslegungen einer friedlichen Welt bedacht gegeneinander ausspielen. All das in einer charmant-gewitzten Verpackung, gut verdaulich für jede Altersklasse.
Eine Fantasywelt in Aufruhr
Von besagter Leichtigkeit ist in der neuen Netflix-Adaption viel abhandengekommen. Die Geschichte bleibt im Kern aber dieselbe. In einer Welt, in der die vier Grundelemente – Wasser, Feuer, Erde, Luft – den Ton angeben, herrscht seit einiger Weile Unstimmigkeit. Die Elemente sind es auch, die das detailreiche Universum in verschiedene Nationen und Gesinnungen untergliedern. Jahrelang lebte man in friedlicher Koexistenz, bis eines folgenschweren Tages die Feuernation ihren Nachbarn den Krieg erklärte. Lediglich der Avatar, alleiniger Herrscher über alle vier Elemente, hätte dem zerstörerischen Wahnsinn Einhalt gebieten können.
Als man ihn am meisten brauchte, verschwand er spurlos, sein Heimatvolk der Luftnomaden wurde in der Zwischenzeit kaltblütig ausgelöscht. 100 Jahre später wird er zusammen mit seinem Flugbison in einem Eisblock vorgefunden und taut – wie durch ein Wunder – lebendig auf. Der Clou: Es ist ein 12-jähriger Bub namens Aang (Gordon Cromier), der selbst noch viel lernen muss, bevor er seiner Aufgabe gerecht werden kann.
Solider Auftakt mit Schwachstellen
Die Netflix-Serie ist nicht der erste Versuch, den „Avatar“-Mythos in greifbare Nähe zu rücken. 2010 probierte sich Regisseur M. Night Shyamalan bereits an einer Realverfilmung – ein Vorhaben, das spektakulär scheiterte. Den unbändigen Zorn der Fangemeinde wird man diesmal wohl aber vermeiden können: Die visuelle Umsetzung ist nah am Original, populär gewordene Figuren und Schauplätze werden angemessen honoriert. Im Vergleich zur Vorlage ist die Neuinterpretation allerdings um einiges düsterer und biederer geraten. Vom humorvollen Ton, der die Abenteuer des hyperaktiven Elementebändigers durchzog, findet man nur mehr Spurenelemente. Eine kontroverse Entscheidung, die aus erzählerischer Sicht jedoch Sinn macht.
Was in einer Cartoonwelt stimmig sein mag, wirkt in haptischer Umgebung schnell fehl am Platz. Man hat verstanden, dass Zeichentrick und Live-Action grundverschieden funktionieren und man eine Adaption wie diese an die Limitierungen des Mediums anpassen muss. Obwohl dies einigermaßen gut gelingt, lässt man andernorts zu wünschen übrig. Die Qualität des Schauspiels schwankt (ein seltenes Highlight: Dallas Liu als von Vaterkomplexen verfolgter Prinz Zuko), die Ortswechsel sind zu hektisch, nostalgische Referenzen zu dick aufgetragen. Der spirituellen Essenz des Originals mag man nahekommen, für Staffel zwei bleibt aber noch viel Luft nach oben.
Bewertung: ●●●○○
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Christian Pogatetz