Es sind Hiobsbotschaften, die fast schon Alltag geworden sind: Am Montag hat der Schweizer Medienkonzern Ringier die Kündigung Dutzender Stellen avisiert, der Axel-Springer-Verlag will ebenso abbauen und die Los Angeles Times hat vor knapp zwei Wochen den Abbau einer „signifikanten“ Zahl von Jobs in Aussicht gestellt, 20 Prozent der Redaktion dürften es wohl werden. Seit Jahren ist die Medienbranche im Umbruch und macht auch nicht Halt vor jener Sektion, die ihr Geld seit Jahrzehnten mit den Spielarten des Hedonismus verdient hat – Mode, Kosmetik, Reisen, Kulinarik, also alles, was im Picknickkorb des guten Lebens so drinnen steckt. Viele Jahrzehnte war der Condé-Nast-Verlag der mediale Vollversorger für Reich und Schön: Vogue, Vanity Fair, GQ, AD Architectural Digest, Glamour, House & Garden, The New Yorker oder auch der Condé Nast Traveler.
Im November kündigte der Verlag einen Job-Abbau an, die Zahlen, die kursieren, liegen zwischen 90 und bis zu 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Letzte Woche wurde vor dem Headquarter im New Yorker World Trade Center zum ersten Mal gestreikt. Nur wenige Tage nachdem der Konzern das Aus für eine der relevantesten Online-Musikplattformen überhaupt angekündigt hat: Pitchfork, die der Konzern 2015 seinem Gründer Ryan Schreiber abgekauft hat.
Lifestyle statt Kulturkritik
Eine Geschichte machte die Tage danach auf Twitter schnell die Runde: Anna Wintour, seit 2020 zusätzlich zur Vogue auch Chief Content Cofficer für alle Magazine weltweit, hat der Pitchfork-Belegschaft ihre Kündigung filmreif beigebracht: Am großen Sitzungstisch sitzend, mit der Sonnenbrille auf. Kein Wunder, dass bei der Demonstration Plakate mit folgendem Spruch auftauchten: „Der Teufel trägt eine Sonnenbrille, wenn er dich entlässt“. Hinzu kommt, dass die Überreste von Pitchfork zum Lifestyle-Magazin „GQ“ verschoben werden – für die Musikkritikerinnen und Kritiker, die über alle Hypes erhaben waren, ist das die Höchststrafe.
Rund um den Protest weilte Anna Wintour bei den Haute-Couture-Schauen in Paris und dort konnte sie ziemlich eindeutig verfolgen, warum das einstige Modeflaggschiff „Vogue“, das es in 26 Märkten weltweit gibt, schwächelt: Längst übertragen die großen Modehäuser ihre Schauen live auf den Social-Media-Plattformen wie Instagram, Marketingbudgets fließen nicht mehr nur in Hochglanzanzeigen, sondern vor allem auch ins Netz und in Social-Media-Aktivitäten. Auch die inhaltliche Relevanz leidet, denn bereits während der Schauen fluten die Bilder vom Laufsteg das Netz, Mode-Influencer kommentieren in Echtzeit Gesehenes – wer will dann noch Wochen später über die fulminante Schau von John Galliano für Maison Margiela lesen, wenn der Hype eine Woche lang bis zum Exzess durchgewalkt wurde?
Seit 1988 ist die gebürtige Britin Anna Wintour Chefredakteurin der US-Vogue und hat den Glamour der Magazinzeiten miterlebt. Dass die heute 74-Jährige vor vier Jahren noch einen zusätzlichen Karriereschub machte, hat dennoch viele überrascht. Die Anforderung, die sie in einer digitalisierten Welt geradezu übererfüllt, ist, selbst eine Marke zu sein. Der Modezirkus ohne Wintour? Unvorstellbar! Mit einer längeren Anlaufzeit hat sie vor ein paar Jahren auch erkannt, dass man einer Kim Kardashian mit 364 Millionen Followern auf Instagram eher doch auf das Cover der Vogue hievt. Spannend wird es demnächst dennoch, denn Edward Enninful, verdienstvoller Chefredakteur der britischen Vogue von 2017 bis 2023, soll künftig eine neue Rolle innerhalb des Condé-Nast-Verlags einnehmen. Bleibt die Frage, ob er als „Global Creative und Cultural Advisor“ in der Warteposition auf den Job für Wintour ist oder nur weggelobt wurde. Sicher ist nur, in den Augen von Anna Wintour werden wir es nicht lesen – Sonnenbrille!