Der Zweite Weltkrieg hatte grauenvolle Wunden in das kollektive Gedächtnis geschlagen. Und inmitten dieser unsicheren Zeit übernahm der gerade einmal 22-jährige André Franquin die beliebte Comic-Serie „Spirou und Fantasio“, die vom ursprünglichen Hotelpagen Spirou und seinem Reporterfreund Fantasio erzählte.
Franquin hatte diesen glücklichen Umstand auch dem späteren Lucky Luke-Erfinder Morris zu verdanken. Die beiden lernten sich im Trickfilmstudio „Compagnie Belge d‘Actualités“ kennen, und nur wenig später machte ihn Morris mit Verleger Charles Dupuis bekannt, in dessen Verlag „Spirou“ erschien. Die von Rob-Vel erfundene und von Joseph Gillain alias Jijé weitergeführte Geschichte verwandelte sich in den Händen Franquins zu einem epischen Werk voll wundersamer Kreaturen. Neben Carl Barks, der 1947 Dagobert Duck erfand und das Universum von Entenhausen ausbaute., tat Will Eisner mit der Kriminalgeschichte „The Spirit“ ab 1940 einen qualitativen Sprung in der Erzählform des Comics. Im europäischen Comic hatte Hergé 1929 mit „Tim und Struppi“ einen Großwurf geleistet, dessen Anfangsjahre zeigen aber noch unverhohlen kolonialistische Züge.
Zeitlos witzig
Franquin, der am 3. Jänner seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, gelang mit „Spirou und Fantasio“ ein großer Wurf: Er schuf epische und fein konstruierte Abenteuer, deren zeitloser Charakter sich darin beweist, dass seine Geschichten aus den 1950er-Jahren heute nichts von ihrem Witz und Esprit eingebüßt haben. Hergé sagte einmal: „Wie kann man uns nur vergleichen? Franquin ist ein großer Künstler, neben dem ich nur ein schlechter Zeichner bin.“ Franquin gab dem europäischen Comic so unvergleichliche Figuren wie den Grafen von Rummelsdorf, ein äußerst schräger, adeliger Erfinder von enormem Tatendrang oder das Marsupilami. Das „stärkste Tier von Palumbien“ lernte im Jänner 1952 in einer „Spirou“-Geschichte das Laufen. Der Tunichtgut Gaston trat am 8. Februar 1957 in Erscheinung: Er zog einfach in das Redaktionsbüro von Dupuis (in der deutschen Version in den Verlag Carlsen), hatte Fantasio als Kollegen und veranstaltete Chaos. Die Gaston-Comics sind ein Blick hinter die Kulissen eines Verlages, den es so nie gab.
Tempo, Tempo, Tempo
Franquin hatte schon als Kind gezeichnet und liebte Tiere: Nicht nur das Marsupilami zeugt davon, auch die „Bravo Brothers“, eine Screwball-Geschichte über drei Affen, die in der Redaktion von Dupuis/ Carlsen ein Chaos veranstalten, beweisen das. Dass Franquins Werk nicht altbacken ist, sondern heute noch weitererzählt wird, beweisen viele Neuerscheinungen der letzten Jahre. Gerade ist „Die Bestie 2“ von Zidrou und Frank Pé erschienen: Darin zeigt sich die Tendenz von Comics und Graphic Novels immer realistischer zu werden. In der Geschichte, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, will der böse Kryptozoologe Professor Sneutvelmans das Marsupilami finden. Der junge Schüler François van den Bosche will das Tier aus Palumbien vor seinen bösen Verfolgern retten. Viele großformatige Zeichnungen verleihen der düsteren Geschichte enorme Kraft. Während Franquin kurz nach dem mörderischen Krieg seine Abenteuer in eine doch recht sorglose Atmosphäre kleidete, ist „Die Bestie 2“ beklemmend und macht deutlich, dass jede Zeit ihre Comics hat. Die Geschichte ist großartig, aber wer lieber lacht, dem seien die vielen Neuerscheinungen im Carlsen-Verlag ans Herz gelegt. Der aus Brüssel stammende Franquin war privat jedoch nicht immer eine Frohnatur, was die Ende Jänner erscheinenden „Schwarze Gedanken“ zeigen – eine Sammlung von einseitigen, makabren und zeitkritischen Gags.