Lebemann, Casanova, ein Genie unter Gaunern: Diese Attribute würde sich Andrès de Fonollosa (Pedro Alonso) womöglich selbst zuschreiben. Wie viel davon zutrifft, muss letztlich jeder für sich entscheiden. Unter dem Decknamen „Berlin“ war der Schmuckdieb einer der Hauptakteure in der Hitserie „Haus des Geldes“ (im Original „La casa de papel“ = „Das Papierhaus“) – dem Netflix-Juwel aus spanischem Haus. Dabei spaltete er die Publikumsgemüter: Die einen sahen ihn als unausstehlichen Macho, andere waren fasziniert von seinem spontanen Lebensgeist.
Fakt ist, dass die Figur sich ins popkulturelle Gedächtnis eingeschrieben hat – wegen oder trotz des fehlenden Einfühlungsvermögens. Mit „Haus des Geldes: Berlin“ wurde dem unberechenbaren Kleinkriminellen nun ein eigenes Spin-Off geschenkt.
Dieses entführt in die Vergangenheit seines umstrittenen Titelhelden, lange noch bevor dieser unter der Führung des zottelbärtigen Professors Banküberfälle ausführen würde. Doch auch im Prequel soll es um einen minutiös geplanten Heist gehen. Wenngleich die Verbrecherbande unter Berlins Regentschaft eine gänzlich andere ist. Immerhin reihen sich die Neuzugänge wunderbar in die etablierte Gaunerwelt ein: ob nun die schüchterne Computermaus oder die mysteriöse Femme Fatale. Im Visier der Hacker, Codebreaker und Kleinganoven steht ein Pariser Auktionshaus, in dem Juwelen im Wert von 44 Millionen Euro verborgen sein sollen. Ehe das Ziel aber beschattet werden kann, verguckt sich Berlin in eine verführerische junge Frau. Es ist ausgerechnet die Gattin des Mannes, in dessen Haus eingebrochen werden soll. Hoffnungslose Romantik inmitten der Stadt der Liebe.
Mehr vom Alten
Mit dem Ableger seiner Hitserie versucht Schöpfer Álex Pina das Erfolgsrezept zu wiederholen, das ihm ein Millionenpublikum bescherte. Ohne viel Variation. Lieber wird Vertrautes geboten: reißerische Narrationen, draufgängerische Sprücheklopfer, der perfekt inszenierte Heist. Dass das alles erneut Spaß macht und mit ästhetischen Genüssen verführt, dürfte auf der Hand liegen. Trotzdem zeigt die bewährte Formel langsam Risse. Ein gelungenes Prequel sollte im Idealfall nämlich ebenso neue Akzente mitbringen. Und so lässig und temporeich auch an die Edel-Streamingmarke „Haus des Geldes“ angeknüpft wird, diesem Rohdiamanten fehlt es an eigener Identität.
Unsere Bewertung: ●●●○○
Mehr zu „Haus des Geldes“
Christian Pogatetz