Die Tragikomödie um die Bestellung der Chefredaktion ist bloß ein Symptom für die Krankheit des ORF – seine Abhängigkeit von der (Regierungs-)Politik. Dies gilt aber nicht für die Journalisten in der größten Redaktion des Landes, sondern die Bestellungsmuster seiner Aufsicht und somit auch das von ihr bestellte Direktorium. Das hat endlich auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erkannt. Also muss bis 1. April 2025 ein weiteres ORF-Gesetz entstehen, obwohl schon 2024 ein neues in Kraft tritt.
Der Auftrag der Höchstrichter bestraft die Medienministerin. Susanne Raab hat haarscharf vorbei am Nichtgenügend nur ihre Pflicht erfüllt anstatt eine Prüfung gut zu bestehen. Schon die Umstellung zur Haushaltsabgabe geschah auf Geheiß des VfGH. Neue Regeln zur Digitalisierung waren überfällig. Das Ganze wurde so ORF-freundlich gestaltet, dass es die Existenzsorgen der privaten Konkurrenz verstärkt.
Diese Wettbewerbsverzerrung per Gesetzgebung war aber weder Zufallsprodukt von Unbedarften noch öffentlich-rechtlicher Lobbying-Erfolg, sondern breiter politischer Konsens. Parteien haben nur auf den ORF direkten Zugriff. ÖVP wie SPÖ und nun auch die Grünen stärken ihn deshalb, wann immer es geht. Die FPÖ hingegen fühlt sich dort seit jeher unterrepräsentiert und will ihn schwächen. Die Neos waren nie an seinen Schalthebeln und sind deshalb die einzigen konstruktiven Kritiker.
Das Erkenntnis des VfGH, den Bestellmodus für Stiftungs- und Publikumsrat regierungsunabhängiger zu gestalten, hat die Koalition trotzdem überrascht. Sie wirkt kaum imstande, den Auftrag zu erfüllen. Sogar beim letztmöglichen Termin für die Nationalratswahl im Herbst 2024 bleibt faktisch kaum ein halbes Jahr, um ein Gesetz in trockene Tücher zu bringen. Es sollte den ORF und damit zwangsläufig auch den Medienmarkt aber mehr absichern als nur mit Erfüllung der höchstrichterlichen Anweisung.
Bleibt diese Aufgabe für die nächste Koalition liegen, hat sie wohl höchstens 100 Tage Zeit für ein Husch-Pfusch-Gesetz. Gehört die FPÖ dieser Regierung an, wird das sicher grausig für den ORF. Wenn Herbert Kickl bloß in der Opposition landet, könnte seine Partei laut aktuellen Umfragen dennoch stark genug zur Verhinderung von Entscheidungen im Verfassungsrang sein. Es braucht also geradezu aus Staatsräson schon davor ein neues ORF-Gesetz samt fairen Rahmenbedingungen für private Medien.
Die bisherigen demokratiepolitischen Leistungen von Türkisgrün geben diesbezüglich keinen Anlass zu Optimismus. Es braucht gesellschaftlichen Druck wie vor 60 Jahren fürs Rundfunkvolksbegehren.