Und wie schon so oft in seinem Leben durchkreuzte auch diesmal die Weltpolitik Karim El-Gawharys private Pläne. Seinen morgigen Geburtstag wollte der Journalist mit unzähligen Freunden aus Ägypten, Deutschland, Österreich und Frankreich würdig feiern. Nicht in Kairo, wo der Korrespondent seit bald 20 Jahren das ORF-Büro leitet, sondern auf der Sinaihalbinsel am Golf von Akaba – dessen nördlichster Teil in Israel endet. Ob der Ereignisse der vergangenen Wochen und der Situation im Gazastreifen habe er die Pläne geändert, erzählt El-Gawhary der Kleinen Zeitung: „Es ist nicht die Zeit für große Feiern.“ Den 60er begeht er deswegen im kleineren Kreis und in Pyramidennähe. Der Jubilar nimmt es mit der Gelassenheit des Erfahrenen: „Ich weiß nicht, wie viele Urlaube ich in meinem Leben unterbrochen habe, weil wieder irgendwas passiert ist.“
Seit 32 Jahren berichtet der Sohn eines Ägypters und einer Deutschen aus der arabischen Welt. Seit 2004 ordnet er für den ORF die Geschehnisse im arabischen Raum ein, berichtete von Facetten des Arabischen Frühlings ebenso wie über die Umstände der umstrittenen Fußball-WM in Katar. Mitunter muss er auch einstecken und sich rechtfertigen, auch das gehört zum Berufsprofil: Zuletzt kritisierten die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen scharf eine Aussage El-Gawharys in der ZiB 2.
Sich selbst beschreibt der Concordia- und Corti-Preisträger als wandelnde Identitätskrise. In München geboren, habe er Ägypten in den ersten 16 Jahren nur aus Urlauben gekannt, erzählt der Korrespondent. In der Adoleszenz erwachte dann die Neugierde auf die andere Seite seiner Herkunft und des Mittelmeeres, er studierte Islamwissenschaft und Politikwissenschaft. „Wenn man mehrere Identitäten mit sich trägt, gibt es immer wieder Zeiten, wo man versucht, 150-prozentig die eine Identität zu sein: entweder 150 Prozent deutsch oder 150 Prozent ägyptisch. Das ist natürlich etwas, das in Wirklichkeit nie funktioniert“, erzählt der dreifache Familienvater. Bis heute werde in Österreich oder Deutschland gefragt, warum er so gut Deutsch spreche: „Es wird immer wieder signalisiert, man gehöre nicht dazu.“ Auf der anderen Seite werde er gefragt, warum er so komisch Arabisch spreche.
„Dieser Wunsch, irgendwo dazuzugehören, der erfüllt sich nie. Und irgendwann schließt man damit Frieden, indem man sagt, man ist weder das eine noch das andere komplett.“ Als Korrespondent habe er die perfekte berufliche Nische für einen Vermittler und Übersetzer zwischen zwei Welten gefunden: „Ich bin eigentlich genau dort angekommen, wo ich ankommen wollte.“ Das wird auch gewürdigt: Der österreichische Botschafter überreichte El-Gawhary heuer das Goldene Ehrenzeichen und lobte Analysen, Reportagen und Stimmungsberichte, „mal rein sachlich, mal auch humorvoll, jedenfalls immer mit hoher Kenntnis und Leidenschaft“.
An die Pensionierungdenke er noch nicht, auch wenn bald ein 6er vorne stehe. Als Freischaffender habe er sowieso zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt, erzählt der Journalist mit einem Lachen, um dann ernster auszuführen: „Alle Blasen einer Gesellschaft zu durchwandern, von den Ärmsten zu den Reichsten, von den Mächtigen zu Machtlosen – und all das einzusaugen. Ich empfinde meine Arbeit als ein unheimliches Privileg und das würde ich gerne so lange so weitermachen, wie es geht.“ Ganz ohne negative Begleiterscheinungen kommt dieser Job freilich nicht aus, auch daran erinnert El-Gawhary: „Das ist kein familienfreundlicher Job.“ Gerade als seine Kinder jung waren, „habe ich meine Kinder einfach zu wenig gesehen“.
Sentimental werde er ob seines Geburtstages nicht, um die Erinnerungen zu pflegen, fehlt oft die Zeit: „Im Moment ist mein Kopf wirklich da, was in Gaza passiert, was mit dem Nahostkonflikt passiert.“