„Das könnte unsere Familie auch sein“, flüstert mir mein Sitznachbar nach rund 25 Minuten zu. Wir sind Zeugen eines Live-Mitschnitts aus dem „Großen Sendesaal“ des Theaters im Bahnhofs, wo Teil eins der neuen Produktion rund um Familie Orthofer eben als Hörspiel aufgeführt wird. Ausgangspunkt: Anlässlich des nahenden 80. Geburtstag des verwitweten Patriarchen kommunizieren vier Geschwister in einer WhatsApp-Gruppe, bevor im ehemaligen „trauten“ Wochenendheim namens Rosenhaus nahe des Packer Stausees auf den Vater angestoßen wird.
Co-Regisseurin Monika Klengel hat mit ihrem Ensemble einen Text bzw. Dialoge erarbeitet, die sich einerseits aus dem Stil von WhatsApp-Nachrichten speisen (inklusive der nervenden Autokorrekturen), andererseits haben sie auch erzählerische Anleihen bei Adalbert Stifters Naturbeschreibungen und seinem fortschrittsfeindlichen Familienbild genommen. Der ist bekanntlich einer der bedeutendsten Autoren des Biedermeiers. Bleibt die Frage: Wollen wir alle im Grunde brave Kinder sein?
Im zweiten Teil von „Herbstfest auf dem Lande“ wandert das Publikum in einen anderen Raum, um das eben mitverfolgte Hörspiel in einer assoziativen Bebilderung zu erleben. Eine Familienaufstellung à la TiB. Das Innere wird nach außen gekehrt, sowohl Sehnsucht als auch Angst vor Nähe sowie Schmerz werden sichtbar. Ein Seelenstriptease des ersten Teils dieses zweistündigen Abends. Eine durchchoreografierte Leistung mit der Handschrift von Co-Regisseur Frans Poelstra, einem niederländischen Tänzer und Choreografen, der auch als Partner einer der Schwestern mitwirkt. Das mit Improvisation berühmt geworden TiB liefert eine seiner exaktesten Produktionen ab, die dem großartigen Ensemble einiges abverlangt: Viel Applaus für Juliette Eröd, Gabriela Hiti, Martina Zinna, Jacob Banigan, Lorenz Kabas und Frans Poelstra. Hier gelang etwas Besonderes!
„Herbstfest auf dem Lande: Ein Familiengeheimnis in zwei Teilen“. Graz, Theater im Bahnhof, Elisabethinergasse 27 A. Vorstellungen: 11., 16., 17., 18., 23., 24. und 25. November, jeweils 20 Uhr. Am 19. 11. um 17 Uhr. Karten: www.theater-im-bahnhof.com