Kein Gegenwind, sondern ein Sturm. Kein Einzelereignis, sondern ein Trend. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steht länderübergreifend unter massivem Druck: Liechtenstein schafft nach einer Mehrheitsentscheidung den öffentlich-rechtlichen Radiosender ab, ARD und ZDF stehen unter Sparzwang, 3sat an der Kippe und in der Slowakei wurde der ÖRR durch einen Staatssender ersetzt. Politisch schlägt sich diese Entwicklung in Deutschland in griffigen Wahlkampfslogans nieder: „Klasse statt Masse“ fordert der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), „Grundfunk“ die FPÖ.
Nicht nur ihre nationale Ausprägung, auch die Idee des öffentlichen Rundfunks gerät in die Defensive. Wobei diese beiden in der öffentlichen Diskussion unscharf überlagert, kaum zu trennen sind und manchmal bewusst vertauscht werden.
Der nicht nur von der politischen Rechten formulierte Vorwurf des „Staatsfunks“ oder des „Staatssenders“ hat zur Grundlage in der Regel Unwissenheit oder politische Agenda. In beiden Fällen wird nicht differenziert, was maßgeblich ist für das Verständnis des Öffentlich-Rechtlichen: Es handelt sich beim ÖRR um ein Gegenstück zum Staatsfunk. Sender wie der ORF, die ARD oder das ZDF entstanden just im Bewusstsein der Erfahrungen in einem autoritären System, das sich den Volksempfänger für Propaganda untertan gemacht hat.
Gute öffentlich-rechtliche Medien sind vertrauenswürdig, parteiunabhängig, finanziell eigenständig und für alle da. Sie schaffen neben den ebenso elementar wichtigen privaten Medien eine gemeinsame Öffentlichkeit als dringend notwendiges Gegenstück zu unzuverlässiger Information. Ganz entgegen der lauten, mitunter schrillen Kritik an den öffentlich-rechtlichen-Medien, gelingt das im deutschsprachigen Raum in hoher, verlässlicher Qualität. Im Schnitt mehr als zehn Millionen Zuschauer bei der „Tagesschau“ (ARD) und über eine Million bei der „ZIB“ im ORF sind ein Beleg für das andauernd große Vertrauen.
„In Österreich ist der ÖRR als Rundfunk der Gesellschaft auch in Zukunft unverzichtbar“, erklärt Medienwissenschafter Matthias Karmasin und führt mehrere Punkte an: Im kleinen österreichischen Markt sei er ein Garant für österreichischen Content, zugleich ist er „wegen der Zerfaserung und Desinformation durch die sogenannten sozialen Medien ein Teil der Infrastruktur der Demokratie“.
Vorausblickend verweist Karmasin, der auch im ORF-Publikumsrat vertreten ist, auf die anstehende ORF-Gremienreform, um die sich die neue österreichische Bundesregierung wird kümmern müssen. Als wesentlich sieht er in diesem Zusammenhang die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit und die Verpflichtung zur Einhaltung hoher journalistischer Standards.
Dabei braucht der ÖRR eine kritische Öffentlichkeit, um seine eigene Unabhängigkeit zu schärfen und zu erhalten, woran vor das Rundfunkvolksbegehren erinnert, das sich vor wenigen Wochen zum 60. Mal jährte. Der nationale Befreiungsschlag, befeuert von 832.000 Unterzeichnenden, entzog den ORF in der Folge dem direkten Zugriff der großen Koalition, die sich ihren Einfluss bis dahin über eine Proporz-Besetzung in der ORF-Führung gesichert hatte.
Die Unabhängigkeit einzumahnen ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft und der anderen Medien, sie sicherzustellen ist die Verantwortung der Politik.
Die Geschichte der öffentlich-rechtlichen Idee ist eine mit drei Kapiteln unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen. Entstanden in einer Zeit des Mangels an medialen Angeboten, folgte seine goldene Zeit als fast monopolistischer Akteur in Radio und Fernsehen, die dank privater Marktteilnehmer zugunsten von Qualität und Vielfalt beendet wurde. Heute ist jeder und jede mit einem Smartphone potenzieller Reporter, Influencer, Kommentator. Die Empfänger von einst, sie sind die neuen Sender. In dieser neuen Ausgangslage suchen Rundfunkinstitutionen wie der ORF mitzuhalten, suchen ihren neuen Platz.
Eine liberale Demokratie brauche eine funktionierende Öffentlichkeit, „dazu gehört zwar nicht exklusiv, aber doch wesentlich auch der ÖRR“, betont Karmasin, der als Professor an der Universität Klagenfurt lehrt, und fügt hinzu: „Wenn man eine liberale Demokratie will – das muss man leider in Zeiten wie diesen dazusagen.“