Ein Novembertag, an dem die Sonne gegen den zähen Nebel ankämpft, um dann doch zum Vorschein zu kommen. Sie strahlt wie die beiden Frauen, die sich zum ersten Mal treffen und freundlich begrüßen. Katharina Spanschel (97) lebt auf einem Bauernhof bei Lavamünd, den sie jahrzehntelang mit ihrem Mann bewirtschaftete. Sie brachte vier Kinder zur Welt, ist achtfache Oma und fünffache Uroma. Laura Meijer (23) lebt mit ihrem Partner in Villach und studiert in Klagenfurt Kulturwissenschaft. Gemeinsam sind sie gleich alt wie die Kleine Zeitung. Während unseres einstündigen Gesprächs lachen beide immer wieder, schweigen sich kurz mit ernster Miene an und staunen über die Lebenswelt der jeweils anderen.
Über Gott und die Welt reden. „Eine Heilige bin ich nicht, dafür hatte ich keine Zeit“, sagt Katharina Spanschel. „Aber ich bete jeden Abend das Abendgebet. Da ist einfach etwas Höheres, etwas Unsichtbares.“ Die Kirche müsse sich weiterentwickeln, sind sich die beiden Frauen einig. Als Kind sei sie sehr gläubig gewesen, sagt Meijer. „Heute hat sich das ziemlich aufgelöst. Aber bei schwierigen oder gefährlichen Momenten sage ich schon noch: ‚Bitte, lieber Gott!‘“
MEJER: Haben Sie Angst vor dem Sterben?
SPANSCHEL: Nein, der Tag komm für jeden früher oder später – das Leben ist ja so. Haben Sie Angst?
MEIJER: Ja, manchmal schon. Ich will schon noch etwas erleben.
SPANSCHEL: Sie sind ja noch jung und haben alles vor sich. Jetzt müssen Sie mal fertig studieren, dann ein bisschen arbeiten und eine Familie gründen. Eine Familie ist schön.
MEIJER: Ich bin da oft ein bisschen eine Pessimistin, wenn ich an die Zukunft denke. Passt das mit dem Studium? Werde ich mal einen guten Job finden? Aber eine eigene Familie möchte ich auch.
SPANSCHEL: Sie wären eine fesche Bäuerin! Da hätten die Bauern eine Freude. Aber heute wollen ja alle studieren.
MEIJER: Als ich klein war, wollte ich Bäuerin werden, weil ich die vielen Tiere immer schön fand. Aber jetzt studiere ich auch. Haben Sie zu viel gearbeitet in Ihrem Leben?
SPANSCHEL: Ja, aber ich habe es immer gern getan. Durch die vielen Maschinen ist das heute sowieso anders.
Und Urlaub hat es nie gegeben?
SPANSCHEL: Nein, wir mussten am Hof bleiben. Aber in der Pension bin ich schon ein bisschen herumgefahren. Die Kinder haben mich ans Meer mitgenommen. Es gibt ja außer Österreich auch noch etwas.
MEIJER: Nach so vielen Jahren Arbeit braucht man das auch. Wir machen Kurztrips nach Italien oder nach Holland, in die Heimat meines Vaters. Nach dem Studium möchte ich gern etwas mehr reisen, um andere Kulturen kennenzulernen.
SPANSCHEL: Heute ist das natürlich gang und gäbe. Für manche ist das Urlauben sogar die Hauptsache. Das haben wir früher nicht gekannt.
Katharina Spanschel war 19 Jahre alt, als sie ihren Mann kennenlernte. „Irgendwann hat der Nachbar über den Zaun geschaut.“ Drei Jahre später hatte sie zwei Kinder. „Ich habe noch keine Kinder“, sagt Meijer. „Die ist nicht so dumm gewesen“, entgegnet Spanschel lachend. „Lassen Sie sich noch ein bisschen Zeit.“ Ihr Mann ist schon seit 44 Jahren tot, „er war erst 62 Jahre alt, als er gestorben ist“. Das war „furchtbar, wie der Tod meines Sohnes mit 52“.
MEIJER: War Ihr Mann auch Ihr bester Freund?
SPANSCHEL: Ja, das war er! Ein guter Mann ist einer, mit dem man reden kann. Er war meine große Liebe. Ich denke jeden Tag an ihn.
MEIJER: Es ist wichtig, dass man treu ist, sich alles sagen kann und die Meinung des Anderen respektiert. Sind Sie eigentlich ein glücklicher Mensch?
SPANSCHEL: Ja, das bin ich. Gesundheit ist das Wichtigste. Und meine Kinder, Enkel und Urenkel sind meine größte Freude.
Die 97-Jährige erzählt von ihrem Alltag. Um 6 Uhr aufstehen, Geschirr in der Küche wegräumen, mit der Lupe die Kleine Zeitung lesen, Wäsche machen und „andere Dinge, die halte eine alte Frau noch machen kann“. Und dann lacht sie herzhaft. Nur das Kochen lasse sie lieber der Schwiegertochter. Einmal in der Woche trifft sie sich mit anderen aktiven Seniorinnen zum Turnen. „Bisschen Ballschmeißen im Kreis, mit den Händen auf und nieder, ein paar Kniebeugen gehen auch noch“, sagt sie. „Man muss sich halt bemühen und sagen, ich kann das noch.“ Daheim versuche sie auch in Bewegung zu bleiben „Eine gute Einstellung“, befindet Laura Meyijer, bei der Pilates, Yoga und Reiten zum Alltagsprogramm gehören. „Und mit dem Hund gehe ich auch gern spazieren.“ Auf dem Hof von Frau Spanschel gibt es heute keinen Hund mehr, „dafür aber 14, 15 Katzen“. Ins Gasthaus geht sie auch noch gerne, „aber gar zu viel Fleisch mag ich jetzt im Alter nicht mehr“. Wären irgendwann alle Vegetarier, „dann hätten unsere Bauern keine Arbeit mehr“.
Ist die Welt heute komplizierter geworden?
SPANSCHEL: Ja, sowieso. Wie es jetzt zugeht mit den Unwettern in Spanien und den vielen Toten. Ein Wahnsinn, was die Menschen mitmachen.
MEIJER: Der Klimawandel ist schon etwas, das mich beschäftigt. Oder der Krieg in der Ukraine.
SPANSCHEL: Nie wieder Krieg wäre das Beste.
MEIJER: Ja, ein Leben in Frieden wäre schön.
SPANSCHEL: Als ich 19 war, haben wir bei Unterdrauburg mit anderen Mädchen Schützengräben geschaufelt.
MEIJER: Sie müssen ja so Angst gehabt haben!
SPANSCHEL: Wir waren zu jung, um das richtig zu verstehen mit dem Krieg. Zum Glück ist es danach schnell aufwärts gegangen. Mein Mann hat von den Soldaten zwei Pferde bekommen, die haben dann lang den Pflug gezogen bei uns.
MEIJER: Das ist so weit entfernt von dem Leben, das wir heute führen. Das ist unvorstellbar.
SPANSCHEL: Es hilft ja nix. Auch wenn es manchmal traurig ist – das Leben geht weiter. Aber jetzt trink ma amol wos, is‘ gscheiter. Prost!
Den richtigen Zeitpunkt für Müßiggang zu erkennen: Auch das verbindet Jung und Alt.