Es ist gar nicht so leicht, in die Jahre zu kommen. Nur zwei Prozent aller Unternehmen werden älter als hundert. Die meisten, weiß die Statistik, scheitern schon entlang der ersten Teilstrecke, wenn Konzepte auf die Wirklichkeit treffen. Dagegen nimmt sich die KIeine Zeitung wie ein Monument vitaler Beständigkeit aus. Wir werden in diesen Novembertagen 120 und feiern den Geburtstag mit unseren Ehrengästen, den Leserinnen und Lesern. Ohne sie gäbe es weder die Zeitung noch uns. Ohne sie wären wir nicht die zweitgrößte Kauftageszeitung im Land, auch nicht die größte Nicht-Boulevardzeitung und auch nicht ein Stück Identitätsgeschichte im Süden. Wir haben die Abonnenten nicht in durchdesignten Event Locations getroffen, sondern draußen in den Regionen, in den Fest- und Vereinssälen großer, eingesessener Gasthöfe. Reden wir, stand auf den Einladungen. Mitunter wurde es spät nach Mitternacht.

Reden wir, das ist sehr nahe an der Gründungsidee der Kleinen Zeitung. In den Statuten des Vereins ist viel vom Dialog und der Notwendigkeit der Verständigung die Rede, vom Dialog zwischen den Polen der Gesellschaft, zwischen „Religionen und Völkern“, Glaube und Wissenschaft, links und rechts, oben und unten, Mitte und Rändern. Das Konzept der Zeitung als gesellschaftliche Klammer ist in Zeiten tiefer Spaltungen und fortschreitender Zersplitterung zu einer Herkulesaufgabe geworden. Öffentliche und veröffentliche Meinung klaffen seit der Migrationskrise und der Pandemie auseinander. Die Rückkehr Trumps ist das jüngste Beispiel, das den Entfremdungsprozess zwischen etablierten Medien und jenen, die sich dem pädagogischen Impetus und der Bevormundung verweigern, sichtbar macht. Auch für uns Medien kann es kein Weiter-wie-bisher geben. Die Verdrossenen finden Zuflucht und Gehör in den Echoräumen der sozialen Medien, dem Kosmos für die Vermarktung aufgestauter Gefühle. Er spiegelt das Potenzial menschlicher Natur. Das Sagbare und das Unsägliche, das freie Wort und das Schamlose, das Wahre und Unwahre, die Vernetzung und die Verleumdung: die Grenzen verschwimmen und heben sich auf, nicht zuletzt, weil sich die milliardenschweren Eigentümer, die mit ihren Algorithmen die niederen Instinkte belohnen, für die Trennlinien nicht zuständig fühlen. Die Grenzen zwischen Kosmos und Kloake bleiben offen.

Die Nähe zu den Menschen

Zu alldem muss die Zeitung ein glaubwürdiger Gegenentwurf sein, sonst gibt sie sich preis. Hier hat sie die größte Unterscheidungspflicht. Sie muss ihre Erneuerungsfähigkeit unter Beweis stellen und das, was die Zeitung im Inneren besonders macht, wie einen Gral bewahren: ihren Charakter, ihren Ton. Diese Selbstähnlichkeit muss auf allen publizistischen Ausspielkanälen, durchscheinen, auf den analogen wie den digitalen, einerlei, welche Ziel- oder Altersgruppen addressiert werden. Ausdifferenzierung und Markenidentität müssen ein Paar bleiben. Identität hat immer auch mit Herkunft zu tun. Diese Zeitung war einst als Tagblatt für das „einfache Volk“ konzipiert worden, ihm sollte, um demokratische Teilhabe zu ermöglichen, das nachrichtliche Geschehen leistbar zugänglich gemacht werden. Aus diesem Selbstverständnis heraus sucht die Kleine Zeitung die Nähe zu den Menschen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Es wäre veruntreute Nähe. Wir leben diese Nähe ungeachtet der politischen und religiösen Gesinnung der Leser, vor allem: ungeachtet der sozialen Herkunft und Bildung. Auch dieses Bekenntnis zum Dünkelfreien: ein Gründungsauftrag.

Die Zeitung ist regional tief verankert, aufsummiert ergäben die Regionalteile eine eigene Zeitung. Im ePaper gibt es sie. Diese elektronische Zeitung kann viel. Sie ist digitale Bibliothek, kann Schriften vergrößern, Texte in Stimmen verwandeln und wie ein Reiseführer durch das Panoptikum der Regionen führen. Die Regionalität ist der Markenkern, aber seine Unverwechselbarkeit erhält er erst durch das spezifische Verständnis von Regionalität als etwas Durchlässiges, Offenes. Liezen und Lienz gehören zur Geografie dieser Zeitung wie die Standorte Wien oder Brüssel. Wir wollen Heimat für Leser sein, aber kein Heimatblatt, das eine falsche Idylle beschwört oder ein verklärtes Gestern. Wir wollen im Dialog mit den Bürgern die Regionen mit ihren Brüchen und Potentialen in die Zukunft denken und Plattform sein, wenn auf dem Weg dorthin, egal, ob es um Kärntner Windräder oder steirische Leitspitäler geht, Gegensätze aufeinanderprallen. Wo es keine Lokalzeitungen gibt, gibt es auch keine gemeinsame Öffentlichkeit, und ohne gemeinsame Öffentlichkeit reißt das Bindegewebe der Demokratie und mit ihr der Zusammenhalt. Das ist im Inneren Amerikas längst Wirklichkeit.

Rückbesinnung auf das Qualitätsversprechen

Auch die Zeitungen selbst sind von den Brüchen und Zumutungen des Wandels nicht verschont geblieben. Die Digitalisierung hat neue Möglichkeitsräume des Erzählens und der Distribution des Erzählten eröffnet, aber sie hat auch alte Gewissheiten und Geschäftsmodelle obsolet gemacht. Transformation und Rückbesinnung auf das Qualitätsversprechen, das in die Marke eingeschrieben ist, müssen strategisch Hand in Hand gehen. Beliebigkeit wäre die Transformation ins Nichts. Das Wertefundament, auf dem die Zeitung steht, ist kein Ballast, sondern ein Atout. Es ist eine Zeitung, die den Erfolg nicht um des Erfolges willen anstrebt, wie es Kurt Wimmer, einer der früheren Chefredakteure, einmal formuliert hat. Die Zeitung weiß sich auf dem Boden einer christlich inspirierten, humanistischen Weltanschauung und wahrt kritische Distanz zur Institution Kirche. Sie bejaht das europäische Einigungswerk und hält kritische Distanz zur Institution der EU. Diese doppelte Gleichzeitigkeit ist Teil des genetischen Codes. Wir treten für eine plurale, demokratische Gesellschaftsordnung ein, wollen in einer unübersichtlich gewordenen Welt Orientierung bieten, treten Radikalisierungen entgegen und Untergangsgesängen, achten die Menschenwürde und sind um Differenzierung und Augenmaß bemüht. Wir sind unabhängig von allen Parteien und Interessensvertretungen. Diese geistige Unabhängigkeit hat die wirtschaftliche zur Grundlage.

Aus all diesen Markierungen setzt sich das bürgerlich-liberale Profil dieser Zeitung zusammen. Ein Geburtstag eignet sich, um es in Erinnerung zu rufen, uns ebenso wie unseren 190.000 Print- und 70.000 Digital-Abonnenten. Es ist im Grunde ihre Zeitung, der Slogan „Meine Kleine“ weist darauf hin. Die Leserinnen und Leser haben ein Anrecht zu wissen, was diese Zeitung in der Essenz ausmacht, um das Publizierte an dieser Selbstverortung zu messen und zu überprüfen. Das offene Wort im Zuspruch wie in der Kritik: Auch das ist Nähe und Verbundenheit. Wir sind dankbar dafür.

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