Demon Radio
Elegant, gediegen, prächtig, da schaut man doch gerne hin! Wäre da nur nicht das mausgraue, einstöckige Gebäude, das das Villenviertel in eine ästhetische Schieflage bringt. Das ist natürlich gewollt, dass man schon vor dem Betreten des ehemaligen Callcenters in Mariagrün hellhörig wird. Besser ist es, denn das „Demon Radio“, eine der Hauptausstellungen vom steirischen herbst, zelebriert hier die Zwischentöne. Und es wird unangenehm, was sonst. Man sollte nicht darauf hoffen, dass irgendjemand eine Hintertür öffnet und sagt: „Nun müssen Sie sich entscheiden – Gut oder Böse?“ Nein, das wird nicht passieren. Hier in diesem Haus mit dem dunkelgrauen, undefinierbaren Spannteppich muss man dieses Mittendrin aushalten können.
Sinnbild für diese ambivalente Schnittmenge aus human und dämonisch, ist der Nationalsozialist und Jazz-Experte Dietrich Schulz-Köhn, der, obwohl Jazz unter den Nazis als entartet galt, sich von seiner Liebe zum Jazz genauso wenig abbringen hat lassen, wie von seiner Nazi-Ideologie. Teile seines Archivs, die in der Ausstellung zu sehen sind, geben Einblicke in diese Widersprüchlichkeit, darunter ein Foto von ihm selbst in Nazi-Uniform inmitten von Pariser Jazzmusikern posierend. Rund ein Dutzend künstlerischer Positionen umkreisen unter anderem diese Doppeldeutigkeit von Botschaften, darunter Jos de Gruyter & Harald Thys, die vier hybride Wesen aus Schäferhund und Mensch in einen alten Mercedes gesetzt haben – sind sie Wachhunde oder Menschen, sind sie beschützend oder aggressiv? Oder vielleicht ebenso naiv wie „Die Drei von der Tankstelle“, die Filmoperette, die hier einwirkt? Nur Fragen? Nein, auch Antworten, aber unter einer Voraussetzung: gut hinhören und wachsam bleiben!
Demon Radio, Hilmteichstraße 113, 8043 Graz, Eintritt frei, steirischerherbst.at
Church of ruined Modernity
Mira Schendel (1919-1988) überlebte als jüdischstämmige Frau den Naziterror in Europa, 1949 wanderte sie nach Brasilien aus. Werke der abstrakten Malerin und Grafikerin wurden schon 1969 im Minoritenkloster ausgestellt. Recherchen ergaben, dass Schendel schon 1944 einmal in Graz gewesen ist, doch die Spuren dieses Aufenthalts verlieren sich. Was also hat die Künstlerin hinter sich gelassen? Es ist eine Spurensuche, auf die Besucherinnen und Besucher quer durch das Kloster, in dem selbst viele ihre Spuren hinterlassen haben, bis in den Dachboden geschickt werden. Was man findet? Fragmente, Spuren von Orten, die einmal Teil dieser Stadt waren. Der Wiener Künstler Andreas Fogarasi hat etwa aus Reststücken, von Fliesen bis zu Wandverkleidungen, der zum Abriss freigegebenen Vorklinik, abstrakte, bleibende Hommagen an den vergehenden Ort geschaffen.
Welche Wege ging Schendel bei ihrem Graz-Besuch? Das ist nicht rekonstruierbar, aber die in Graz lebende Künstlerin Eteri Nozadze imaginiert mit ihren Zeichnungen, die Ausschnitte vom Grazer Stadtplan wiedergeben, eine „Flussschifffahrt“ – getragen von großer Leichtigkeit und Sehnsucht.
Kurios und unheimlich ist die kuratorische Intervention, in der man eine Künstliche Intelligenz mit den wenigen vorhandenen biografischen Fakten über jene Zeit gefüttert hat, in der Schendel in Europa gelebt hat. Das Ergebnis ist auch eine Form von Spurensuche: Die KI klaubt auf und verbindet, was sie findet. Eine ziemlich ambivalente Angelegenheit – wie passend!
Church of Ruined Modernity, Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, Eintritt frei, steirischerherbst.at