"Humans and Demons, Menschen und Dämonen". Das Thema des steirischen herbsts 2023 klingt für Intendantin Ekaterina Degot "wie der Titel eines nie geschriebenen Romans". Eines frühneuzeitlichen Schelmenromans, präzisiert sie; passend zu Graz, "weil sich hier Vor- und Postmoderne auf sehr interessante Weise verbinden".
Seit Degot das Festival leitet, fungiert es als Grabungsstätte für das Verborgene, Vergessene, Verdrängte der Region. Auch am Start von Degots zweiter Amtszeit. Es soll um moralische Grauzonen gehen und um die dämonischen Seiten, die schwere Zeiten (siehe: Covid, Ukraine-Krieg, Klimakrise) in den Menschen freilegen. Das Detailprogramm dazu gibt es erst Ende August – Schwerpunkte aber stellten Degot und ihr Team am Donnerstag vor.
So sind vier Gruppenausstellungen an vier ungewöhnlichen Orten und um vier uneindeutige Figuren der Grazer Geschichte geplant: Da wird ein leer stehendes Callcenter in Mariagrün zum "Demon Radio" inklusive Stationsgeist "Dr. Jazz" alias Dietrich Schulz-Köhn – ein notorischer Nazi, Jazzfan und Radio-DJ, der seinen Nachlass am Grazer Institut für Jazzforschung deponierte. Das Forum Stadtpark mutiert zur "Villa Perpetuum Mobile", dem fiktiven Heim des bulgarischen Physikers Stefan Marinov, der im Grazer Exil das Perpetuum mobile erfinden wollte. Ein Projekt im Minoritenkloster widmet sich dem Andenken an die neokonkrete Kunst der zeitweiligen Wahl-Grazerin Mira Schendel; die fiktionalisierte Widerstandsheldin "Submarine Frieda" spukt in einem Leerstand am Griesplatz.
Randomisierte Tischgesellschaften
40 Arbeiten, großteils Auftragswerke, soll "Humans and Demons" umfassen. Die neue Kuratorin für bildende Kunst, die Belgierin Pieternel Vermoortel, holt dafür Biennale-Teilnehmer wie Maria Loboda oder Jos de Gruyter & Harald Thys, Kaliber wie Meg Stuart, Andreas Fogarasi, Eteri Nozadze, Lucile Desamory. Auch der Bereich Performance/Theater hat einen neuen Kurator: Der Ungar Gábor Thury holt zur Festivaleröffnung Lulu Obermayer für eine Performance über Männerbilder in Oper und Denkmälern – ein Schauplatz ist das Soldatendenkmal auf dem Schloßberg. Es folgen Projekte etwa von Adrienn Hód, Mateja Bučar, Giacomo Veronesi und Michael Portnoy. Die lokale Szene vertritt einmal mehr das Theater im Bahnhof mit dem Reenactment randomisierter Tischgesellschaften und ihrer Gespräche rund um Politik etc.
Musikprotokoll (Thema: "interconnected | interdependent") und Literaturfestival Out of Joint (Motto: "Wer gegen wen?") werden erwartungsgemäß fortgeführt, das "herbstkabarett" wird ebenso ausgebaut wie das Vermittlungsprogramm rund um Workshops, Rundgänge, "Eat & Greet"-Künstlergespräche.
In der zweiten Festivalwoche gibt es einen neuen Schwerpunkt aufs Parallelprogramm – etwa die österreichische Erstaufführung von Elfriede Jelineks "Sonne/Luft" mit dem wiedergewonnenen Partner Schauspielhaus oder eine dem Verschwinden und Begehren gewidmete Performance-Wanderung mit Christoph Szalay durch die Ramsau. Coup: die Kooperation mit dem Indigo-Festival Lubljana bringt ein Livestreitgespräch der Philosophen Peter Sloterdijk und Slavoj Žižek – via Stream immerhin.
Ute Baumhackl