"Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer fand 1978 brachiale Worte für das "Stern"-Cover mit einer splitterfasernackten Grace Jones, die lasziv vor einem Mikro in die Kamera lächelte, während ihre Beine in Ketten lagen. Schwarzer ortete darin einen "Verstoß gegen die Menschenwürde von Frauen".
Das Cover wurde zur Gerichtssache und erregte darüber hinaus Aufsehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Helmut Newtons Ruf als Voyeur mit einem Faible für gediegenen Fetischismus einzementiert. Am Ende setzten sich bekanntlich seine Anwälte in der Sexismus-Klage durch. Es war nicht die einzige Klage, in die Schwarzer und Newton verwickelt waren. Und sie nicht die einzige Kritikerin mit Einfluss. Autorin Susan Sontag betonte mehrfach die Frauenfeindlichkeit in Newtons Aufnahmen, in einer Talkshow konterte er ihr: "Aber ich liebe doch die Frauen!" Das ließ sie nicht gelten.
Ikonenhaftes Storytelling
Umstrittene Werke wie das "Stern"-Cover oder Nadja Auermann, die Newton 1994 als weggeworfene Barbiepuppe inszenierte, fehlen in der schon im Vorfeld debattierten Retrospektive. Die Schau im Bank-Austria-Kunstforum in Wien ehrt den 2004 verstorbenen Künstler, coronabedingt verspätet, zum 100. Geburtstag. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie wirft ein Best-of seiner Biografie von Modefotografien von den 1950ern bis zu bekannten Promi-Porträts in den 1990ern großformatig auf die Wände. Auf die Debatten von einst oder jetzt wird nicht eingegangen, neue einordnende angezettelt auch nicht. Schade.
"Helmut Newton Legacy" würdigt den 1920 in Berlin Geborenen und 1938 zunächst nach Singapur, dann nach Australien Emigrierten als stilprägenden Innovator der Modefotografie. Als einen, der das ikonenhafte Storytelling, beeinflusst von Alfred Hitchcock, James Bond, der Propaganda-Ästhetik Leni Riefenstahls oder dem Film noir, unwiderruflich in die Welt der Haute Couture brachte.
Schon eingangs wird mit aller Doppeldeutigkeit in „Tied-up Torso“ aus dem Jahr 1980 gespielt, in dem ein Model mit nacktem Oberkörper und abgeschnürten Brüsten ihre Hand in Latex-Handschuhen nach oben zur Faust ballt. Der skulpturale Körper steht im Vordergrund, die zu werbende Mode wird – wie so oft in Newtons Arbeiten wie das berühmte Hühnchen für die „Vogue“ beweist – in den Hintergrund gedrängt.
In der großen Halle ist Platz für Newtons berühmteste, wuchtige Arbeiten wie „The Big Nudes“ sowie die Serie „Dressed and Naked“, wofür er 1981 vier Models zunächst in Haute-Couture-Kleidung fotografierte und dann einmal in exakt gleicher Pose nackt.
In Interviews betonte Direktorin Ingried Brugger zuletzt, dass Newton zum „Teil der klassischen Emanzipationsgeschichte gehöre“. Helmut Newton, der Mann, der Frauen erotisches Selbstbewusstsein eingetrichtert hat? Mit der Inszenierung von Brüsten? Seinem Zoom auf Lippen, Augen, Wimpern und High Heels?
Vielmehr gilt wohl, dass Newton sogenannte starke Frauen so abbildete, wie Männer sich diese vorstellten. Anderes zu behaupten, wirkt, fünf Jahre nach #MeToo, aus der Zeit gefallen. Die Schau erzählt von seinem Frauenbild hinter der Kamera. Auch dann, wenn er Männer porträtiert. Stets angezogen - bis auf Gianni Versace.