Das Bild ist bereits gut 400 Jahre alt, aber die Aufregung, die es entfacht hat, ist brandneu: Eine Grafik in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ hat aus Jacob Jordaens‘ „Anbetung der Hirten“ aus dem Jahr 1616 einen Bildwitz mit den Köpfen von Sebastian Kurz, seiner Partnerin Susanne Thier und seinem neugeborenen Sohn gemacht. Das Originalbild zeigt die Madonna beim Stillen des Jesuskindes. In der am Mittwoch veröffentlichten Bearbeitung wirkt es, als entblöße nun die Partnerin des Ex-Politikers ihre Brust – angestiert von Kurz, Herbert Kickl und Alexander Schallenberg.
Der nur scheinbar infantile Witz bedient sich in Wahrheit einer bewährten Verfahrensweise übelsten Sexismus‘: Um den Mann zu treffen, demütigt man die Frau. Entsprechend heftig fiel die Reaktion auf das Bild aus, das im „Falter“-Jahresrückblick „Best of Böse“ auf Seite 3 abgebildet ist. Auf Twitter verglich etwa ORF-Moderator Armin Wolf das Machwerk mit dem Humor einer „Maturazeitung aus den 1980ern“. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) beurteilte das Sujet als „sexistisch und geschmacklos“, und sogar für den FPÖ-EU-Abgeordneten Harald Vilimsky stellt es eine „Sauerei der Extraklasse“ dar.
Die Frauen- und Mediensprecherinnen der Grünen, Meri Disoski und Eva Blimlinger, haben in einem Offenen Brief an den Presserat die Einleitung eines Verfahrens gegen den „Falter“ gefordert: Die Abbildung sei „in hohem Maße sexistisch, herabwürdigend, ja geradezu empörend.“ Tatsächlich hat der Presserat, Qualitätssicherungs- und Selbstkontrollgremium der heimischen Printzeitungen, bereits angekündigt, man werde sich in der nächsten Sitzung im Jänner 2022 mit dem Bild befassen. Derweil hat die ÖVP-Frauensprecherin Elisabeth Pfurtscheller bereits eine Entschuldigung der „Falter“-Chefredaktion verlangt und ein FPÖ-Politiker den Chefredakteur Florian Klenk, von einem Branchenmagazin jüngst als Österreichs „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet, dazu aufgefordert, seinen Titel zurückzulegen, als wäre dieser ein Amt.
Was den „Falter“ wirklich zu der Abbildung bewogen hat, ist indes nicht ganz klar. Spekuliert wird, dass das Sujet nicht nur Kurz (und seine Familie) treffen sollte, sondern auch den „Kurier“. Gestaltet ist das Bild nämlich im Stil von dessen „Freizeit“-Beilage, hier aber unterm Titel „Geilzeit“ – eine besonders verschwitze Sexualisierung des Sujets. Möglicher Hintergrund: Die „Kurier“-Chefredakteurin Martina Salomon und „Falter“-Chef Klenk verbindet seit längerem eine herzliche, auch auf Social Media nicht eben zimperlich ausgetragene Abneigung. Dass der „Falter“ mit grenzgängerischen Sujets den kurzschen Opfermythos bedient, ist darüber hinaus nicht neu: Vor Wochen imaginierte ein Bild den Ex-Kanzler in Handschellen – schon dabei sahen etliche Beobachter journalistischer Standards verletzt.
Was die aktuelle Aufregung verdeckt: Der freigelegte Busen, um den so heftig gestritten wird, ist bereits 400 Jahre alt – und Teil der kunsthistorischen Tradition um die „Maria lactans“, die stillende Gottesmutter. Diese findet sich seit dem 4. Jahrhundert in der christlichen Ikonografie und ist auf Gemälden von Dürer bis Tintoretto dargestellt. Das Wiener Dommuseum widmete dem auch „seliger Schoß“ genannten Motiv gar eine eigene Ausstellung des Titels „Maria lactans. Die Stillende in der Kunst“ – 2010, elf Jahre vor dem unseligen Klemmerwitz von heute.
Ute Baumhackl