Gustave Courbet war kein Idealist, der die Welt erhabener und schöner zeigen wollte, als sie war. Aber er wollte sie besser machen, indem er auch ihre Schattenseiten ins Visier nahm. Anstelle von Heroen und Heiligen malte er schuftende Arbeiter und Mägde und stand damit im Widerspruch zur klassizistisch-akademischen Kunsttradition, aber auch zur Politik seiner Zeit. „Indem ich das Ideal sowie alles ablehne, was daraus folgt, gelange ich zur vollen Selbstbefreiung des Individuums bis hin zur Verwirklichung der Demokratie. Der Realismus ist seinem Wesen nach die demokratische Kunst“, schrieb er gleichsam zur Selbstvergewisserung an jedem Tag seines Schweizer Exils auf ein Stück Papier.
So ist es Bernd Schuchters Buch „Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten“ zu entnehmen, das unter anderem in die Zeit der Pariser Kommune entführt, die vor 150 Jahren erblühte und nach nur 72 Tagen ein blutiges Ende nahm. Damals hatten die Bürger der Stadt eine Art sozialistischer Republik ausgerufen, die Marx und Engels später als „erste Diktatur des Proletariats“ bezeichneten. Zu ihrem Programm gehörten freie Wahlen, die Selbstverwaltung der Arbeiter oder auch die Gleichstellung der Frauen.
Auslöser für den gesellschaftlichen Umbruch war der verlorene Krieg gegen Preußen, den Kaiser Napoleon III. angezettelt hatte. Nach der Niederlage erhoben sich die Pariser sowohl gegen die deutschen Eroberer als auch gegen die eigene Regierung. Und Courbet, der Sohn eines Großbauern aus dem Jura, war mitten im Geschehen. Als die Kommunarden am 16. Mai 1871 ein verhasstes Symbol der Monarchie, die Siegessäule auf der Place Vendôme, niederrissen, war er einer der Anstifter.
Mit dem historischen Denkmalsturz beginnt auch das Buch des Tiroler Autors über den Revolutionär, der Courbet nicht zuletzt als Maler war. Auf der Suche nach Wahrhaftigkeit und beeinflusst vom Stil eines Caravaggio, Rembrandt oder Delacroix, schuf der Autodidakt zahlreiche Gemälde, die bei den Jurys der Pariser Salons oft auf Unverständnis stießen – darunter etwa die „Rückkehr von der Konferenz“, das beschwipste Geistliche vor Augen führte. Als unmoralisch empfand man vor allem sein bekanntestes Werk: „Der Ursprung der Welt“. Im Spannungsfeld zwischen Pornografie und Metaphysik rückt es kühn und ohne erzählerischen Kontext das weibliche Geschlecht in den Mittelpunkt. Heute ist es eine der Attraktionen im Pariser Musée d’Orsay.
Provokateur und Nonkonformist
Selbstbewusst und provokant war Courbet schon zu Beginn seiner Karriere. Als ihn die Regierung aufforderte, für die Weltausstellung 1855 Entwürfe für ein großes Auftragswerk vorzulegen, winkte der Maler mit Hinweis auf seine künstlerische Freiheit ab. Stattdessen ließ er sich einen eigenen „Pavillon du Réalisme“ errichten, in dem er 41 seiner Werke zeigte, darunter seine rätselhafte Allegorie „Das Atelier“ und die heftig kritisierten „Steinklopfer“, deren Pflastersteine sich Jahre später zu Geschoßen gegen die bürgerliche Ordnung verwandeln sollten.
Courbet hatte dies in gewisser Weise vorausgeahnt, vielleicht sogar heraufbeschworen. Nach der Niederschlagung der Kommune wurde er wegen der Zerstörung der Colonne Vendôme zu sechs Monaten Haft verurteilt. Zwei Jahre später verlangte die neue Regierung auch noch 335.000 Francs Schadenersatz. Courbet floh an den Genfer See und verfiel, gepeinigt von Gerichtsprozessen und Geldsorgen, dem Alkohol. 1877 starb er 58-jährig an Herzversagen. Erst 100 Jahre später wurde er in seinem ostfranzösischen Geburtsort Ornans beigesetzt.
Die Triumphsäule, einst gegossen aus russischen und österreichischen Kanonen, kündet längst wieder von Napoleons Sieg bei Austerlitz.