Es scheint nicht selten eine plumpe Milchmädchenrechnung zu sein: Kunstraub ist eine Straftat, die zumindest theoretisch viel Geld einbringt. Bliebe noch die übliche Erkenntnis unterm Strich der Milchmädchenrechnung: Sie geht halt nie auf. Das mussten offenbar auch jene Erben erkennen, die im Vorjahr vorsichtig beim Schloss Friedenstein in Gotha anklopften. Das, was sie den Verantwortlichen dort angeboten haben, war vor 40 Jahren ebendort gestohlen worden: fünf Gemälde, darunter ein Werk von Frans Hals und eines von Hans Holbein dem Älteren. Salopp gesagt: ein eher schwieriges Erbe, das jemand seinen Nachkommen hinterlassen hat.

Kunstraub, bei diesem Wort denkt man in Österreich reflexartig an das goldene Salzfass „Saliera“ von Benvenuto Cellini, das 2003 aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlen und drei Jahre später in einem Wald in Niederösterreich wieder ausgegraben wurde. Doch der größte Kunstraub aller Zeiten, der ist bislang noch ungeklärt, zahlreiche Ermittler haben sich in den letzten drei Jahrzehnten die Zähne daran ausgebissen. Vielleicht bringt gerade eine Netflix-Dokumentation nun endlich Bewegung in die Geschichte. Stichwort: Erben?



Die vierteilige Doku „Der größte Kunstraub aller Zeiten“ arbeitet den spektakulären Kunstraub auf, der sich am 18. März 1990 in Boston ereignet hat: Zwei als Polizisten verkleideten Diebe können die Sicherheitsleute mit einem Vorwand davon überzeugen, sie ins Museum zu lassen. Die beiden Securitys liegen gefesselt im Keller, während die Kunsträuber unglaubliche 81 Minuten lang 13 Kunstwerke von Weltrang abhängen und aus ihren Rahmen schneiden. Unter den Werken von Rembrandt, die sie mitnehmen, ist „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“. Teil der Beute ist zudem „Das Konzert“ von Vermeer sowie Werke von Degas und Manet. Mittlerweile wird der Wert der Bilder auf über 500 Millionen Dollar geschätzt.

Das zeugt auch vom Grundproblem dieser Kunstraubzüge: Alte Meister sind, salopp gesagt, Ladenhüter, mit denen man vielleicht das Erbe seiner Kinder vergällen kann. Längst wird ausgeschlossen, dass es sich um einen Auftragsdiebstahl eines superreichen Kunstsammlers handelt.
Das verkleinert nicht unbedingt den Täterkreis, wie es Dick Ellis, vormals Experte von Scotland Yard, formuliert: „Kunst ist eine Weltwährung“. Nicht zuletzt geriet sogar die IRA ins Visier, die gute Verbindungen zur Bostoner Unterwelt hat. Rembrandt und Co. kamen als mögliche Erlösquelle für Waffenkäufe ins Spiel. Auch amtsbekannte Kunsträuber wurden abgeklopft, wie etwa Myles J. Connor, der zur Tatzeit wegen Kunstraubs hinter Gittern saß, aber eine weitere Theorie ins Spiel brachte: Kunstwerke, die im Austausch gegen Haftstrafenverkürzungen eingesetzt werden.

Kunsträuber aus Leidenschaft: Myles J. Connor
Kunsträuber aus Leidenschaft: Myles J. Connor © Netflix

Zuletzt führten die Spuren ins Mafiamilieu – zur irischen wie auch zur italienischen Mafia. Doch bewiesen ist noch nichts, auch, weil einige der mutmaßlich involvierten Personen Gewalttaten zum Opfer fielen. Vielmehr geht es seit Jahren darum, die Bilder wiederzubekommen. Die Staatsanwaltschaft bietet Immunität an. 2017 hat das Museum die Belohnung auf zehn Millionen Dollar erhöht.

Im Museum selbst hängen inmitten der Schauräume die leeren Bilderrahmen. Das hat nicht nur mit der Hoffnung zu tun, dass die Bilder wieder auftauchen, sondern auch mit dem Testament von Museumsgründerin Isabella Stewart Gardner (1840–1924). Sie hatte verfügt, dass die Inszenierung der Sammlung unverändert bleiben muss. Nichts darf verkauft oder zugekauft werden. An Diebstahl hatte sie offenbar nicht gedacht.