ls die beiden Biennale-Kuratoren Helge Mooshammer und Peter Mörtenböck vor etwas mehr als einem Jahr erste Einblicke in ihr Programm für die 17. Architekturbiennale Venedig präsentierten, war der Terminus "Plattformurbanismus" vielen noch unbekannt. Das Event wurde pandemiebedingt schließlich auf heuer (22. Mai bis 21. November) verschoben.

Nun plötzlich verstünden deutlich mehr Menschen, was die beiden Architekturtheoretiker im Sinn haben, glauben sie. "Das ganze Leben wird zu einer Summe von Abos, ohne die ich auch am städtischen Alltag nicht mehr teilnehmen kann", erklärte Mooshammer damals und verwies auf Plattformen von AirBnB über Carsharing-und E-Roller-Dienste bis hin zu Co-Living-Spaces. "Ich muss mich um nichts mehr kümmern. Alles kommt im Paket. Dadurch verlieren wir die Kontrolle über unser Leben in der Stadt."

Nach einem Jahr im Home-Office, im Internet bestellter Kleidung und Lebensmitteln sowie einem Netflix-Abo hat sich dieser Umstand im Bewusstsein der breiten Masse etabliert. "Zuletzt erschien es nicht mehr so notwendig zu erklären, warum das Thema Plattformurbanismus wichtig ist", schmunzelt Mörtenböck im Videointerview mit der APA. "Damit hat sich für uns auch ein Fenster aufgetan, analytischer vorzugehen."

Ein anderes Fenster ging hingegen zu: Der österreichische Pavillon in den Giardini auf der Biennale, die diesmal unter dem Generaltitel "How will we live together?" unter der Leitung des libanesisch-amerikanischen Kurators Hashim Sarkis stattfindet, hätte ursprünglich ein Tummelplatz für internationale Architekturblogger sein sollen, die im Wochentakt wechselnd den theoretischen Diskurs bestimmen hätten sollen. Da dem Duo bald klar wurde, dass auch 2021 nicht alles "normal" ablaufen würde können, entschieden sie sich, die "Residencies" vorab und dezentral durchzuführen. Die so entstandenen Texte der über 50 Blogger werden nun im Pavillon kompakt präsentiert und durch virtuelle Erweiterungen, Fotos und Videos ergänzt.

Mit dabei seien "viele Grundsatzanalysen, die uns Vokabular zur Verfügung stellen, wie man über Alternativen nachdenken kann", freuen sich die beiden. So wird aus dem performativen Ansatz ihres Beitrags ("es wäre eine Bühne des großen Austauschs gewesen") ein repräsentatives Format. "Der Pavillon schaut jetzt anders aus, als geplant. Er ist keine Betriebsstätte, sondern vermittelt ein eher klassisches Bild", so Mörtenböck, Professor für Visuelle Kultur an der TU Wien. Dennoch werde es "ein starkes Moment des Erlebens" geben, weil auch mit Sound und virtuellen Diskussionen gespielt wird.

Auch inhaltlich habe es Verschiebungen gegeben, so Mooshammer, Stadt- und Kulturforscher an der TU Wien sowie Research Fellow am Goldsmiths College (University of London). Durch die Pandemie hätten die Blogger diese selbst zum Thema gemacht und untersucht, wie sich bestehende und zahlreiche neue Plattformen "ins alltägliche Leben einschreiben". Durch die Internationalität der Eingeladenen ergebe sich hier ein höchst differenziertes Bild, da der Blick auf die Pandemie und die Reaktion darauf in Indien oder Südafrika gänzlich anders sei als jener in Europa. Während wir uns hier als "die kleinen Leute" verstünden, denen vieles von oben aufoktroyiert werde, seien andernorts Initiativen "von unten" entstanden, um sich der neuen Normalität anzupassen.

So sei auch ein neuer Aspekt hinzugekommen, der im Vorjahr noch unterrepräsentiert gewesen wäre: "Ganz neu dabei ist der Care-Aspekt, also der Gesundheits- und Wohlfahrtsbereich", erläutern die beiden. "Wenn wir nicht arbeiten können, stellt sich die Frage, wie wir für uns sorgen können." Auch hier seinen Plattformen und digitale Angebote zutage getreten. Es seien gerade viele Interfaces im Entstehen, während sich etablierte Plattformen angepasst hätten. "Plattformen sind extrem agil, flexibel und schnell skalierbar", weiß Mooshammer.

Inwiefern sich die Pandemie und der erzwungene Rückzug aus dem öffentlichen Raum auch auf die Architektur auswirken wird, werde sich demnächst zeigen. "Es gibt sicher ein starkes Bedürfnis, die Erfahrung des körperlichen In-der-Welt-Seins zurückzugewinnen", ist sich Mooshammer sicher. Er nimmt an, dass sich Hybridformen herausbilden werden. "Die Arbeit des vergangenen Jahres war hier sehr aufschlussreich." Urbanes Leben werde künftig noch stärker von Plattformen geprägt und strukturiert. "Eigentlich sind Plattformen etwas Einfaches: Sie erschließen bisher ungenutzte Potenziale mithilfe von neuen Kommunikationstechnologien. Ich gewinne einen neuen Zugang zur Stadt. Das ist grundsätzlich etwas Befreiendes." Und Mörtenböck ergänzt: "Die Botschaft tritt in den Vordergrund, auch in der Architektur." Der digitale Code und der Raum überschneiden sich. "Die Frage ist: Das machen die Plattformen. Uns stellt sich die Frage, was das mit dem öffentlichen Raum macht."

Wie das genau aussehen soll, können Besucher ab 22. Mai im österreichischen Pavillon mit dem Titel "Platform Austria" in sieben Kapiteln erkunden. Es werde darum gehen, wie Plattformen unser Leben beeinflussen und wir uns in und mit ihnen bewegen. Das letzte Kapitel widmet sich dann schließlich jenen, die dafür verantwortlich sind. "Da sind wir nämlich an einem kritischen Punkt. Denn gerade jetzt werden Weichen gestellt, wie wir in Zukunft leben." Wer aus Pandemie-Gründen im Mai noch nicht nach Venedig fahren kann, dem bietet sich im MAK übrigens eine kleine Dependance, in dem ein Teil des Venedig-Programms erfahrbar gemacht wird.

17. Architekturbiennale von 22. Mai bis 11. November.
Infos: www.platform-austria.org
www.labiennale.org