Ach, dieser Orient! In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das ein Sehnsuchtsort, ein Konstrukt der gutbürgerlichen Gesellschaft, nicht selten eine Verdichtung von Klischees, wo man sich hinträumen konnte.
Auch, weil nur wenige Menschen jemals dort waren, trieb die Phantasie gewaltige Blüten. Das gilt nicht für Anna Lynker (1834–1926). „Es war bis jetzt unbekannt, dass sie als Orientmalerin tätig war. Diese Richtung der Malerei „boomte“ im 19. Jahrhundert, und es waren vorwiegend männliche Künstler, die dieses Genre pflegten“, sagt Kuratorin Gudrun Danzer, die mit Co-Kurator Günther Holler-Schuster für die Ausstellung „Ladies First!“ in der Neuen Galerie Graz verantwortlich zeichnet.
Doch wie kam Anna Lynker nach Ägypten, Istanbul oder gar Syrien? Die uneheliche Tochter eines Wiener Porzellanmanufakturbesitzers war nach mehreren Ausbildungsstätten, darunter beim Düsseldorfer Landschaftsmaler Albert Flamm, in Graz gelandet. „Anna Lynker lebte im Haushalt des aus Graz gebürtigen Diplomaten und Orientforschers Anton Prokesch-Osten und begleitete diesen auf seinen Aufenthalten und Reisen im Nahen Osten. Sie war auch als seine wissenschaftliche Assistentin und Privatsekretärin tätig. Auch das war bislang unbekannt“, erklärt Danzer.
Die Malerin fing also die Stimmungen an den Orten ein, es sind vielfach Landschaften und Alltagsszenen, aber auch Ausgrabungsstätten, die Lynker in ihren Aquarellen darstellte. Einer Chronistin gleich, ganz ohne Blick von oben herab, der dem Orientalismus nicht selten gerne anhaftete. Ebenso spannend ist, dass die Malerin ihre Aquarelle in Farblithographien umsetzen ließ und sie in einem Portfolio namens „Nil-Album“ sammelte. Susanne Rakowitz