In den letzten 100 Jahren ist die Anzahl der originalen Rembrandts rapide geschrumpft. Während das erste Werkverzeichnis von 1913 noch 988 Gemälde anführt, hat die kritische Kunstgeschichtsforschung zuletzt nur noch wenige hundert als eigenhändige Arbeiten des 1669 verstorbenen Meisters übrig gelassen. Allerdings ist in jüngster Zeit eine Trendwende zu beobachten. So wurde vor einigen Monaten das Porträt eines bärtigen Mannes, das als vermeintliche Kopie im Lager eines britischen Museums schlummerte, zum Originalgemälde erklärt – dank seiner Holztafel, die laut naturwissenschaftlichen Untersuchungen vom selben Baum stammt wie die eines gesicherten Meisterwerks. Den vorläufigen Höhepunkt dieses Revisionismus bildet ein Buch von Albertina-Kurator Achim Gnann, der sich insbesondere mit Rembrandts Landschaftszeichnungen beschäftigte – mit weitreichenden Folgen für die internationale Forschung und die heimische Museumslandschaft.
Sie haben nach der Veröffentlichung Ihres Rembrandt-Buches mit Prügel von Fachkollegen gerechnet. Sind die ersten schon bei Ihnen angekommen?
ACHIM GNANN: Noch nicht. Bis die ersten Rezensionen erscheinen, dauert das noch einige Monate. Ich habe also eine gewisse Schonfrist.
Sie haben durch Ihre Forschungen die Anzahl der
Landschaftszeichnungen von Rembrandt um rund 160 vergrößert. Konnte davon auch Ihr Museum profitieren?
Ja, mit drei Werken, die zwar im Gesamtverzeichnis des früheren Albertina-Direktors Otto Benesch noch als Originale galten, aber später bezweifelt wurden. Wir haben jetzt 20 Landschaftsstudien unter unseren etwa 55 Rembrandts. Aber auch das Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste hat fünf neue Originale dazu bekommen.
Sie haben also den österreichischen Rembrandt-Besitz um acht Werke vermehrt?
Ja, aber die hatte schon Otto Benesch als Originale akzeptiert. Aber da geht es nur um Landschaftsdarstellungen. Wenn man mich weiter machen ließe, käme noch einiges dazu.
Was kosten einzelne solcher Blätter, sofern sie überhaupt am Kunstmarkt auftauchen?
Wenn es eine besonders schöne Zeichnung ist, kann die schon einige Millionen kosten. Eine Landschaft zum Beispiel ist vor 20 Jahren um 3,4 Millionen Euro versteigert worden.
Hat sich Ihr Chef Klaus Albrecht Schröder für die Wertsteigerung seines Museums schon bedankt?
Er weiß natürlich schon lange, dass ich mich mit dem Thema beschäftige. Jetzt kommt es darauf an, ob sich meine Meinung durchsetzt, ob eine Umkehr stattfindet, weg von diesen Abschreibungen. Es gab ja bei Rembrandt in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Kahlschlag.
Rembrandt hatte ein paar Dutzend Schüler, die nach seiner Art gearbeitet haben. Wie kann man da mit Sicherheit Eigenhändiges von Nachahmung unterscheiden? Zumal es von Rembrandt nur wenige signierte Zeichnungen gibt.
Man muss versuchen, seinen Stil zu beschreiben. Wie arbeitet er? Was ist seine Technik, das Besondere seines Stils? Und dann muss man versuchen, dieses Typische mit anderen Zeichnungen zu vergleichen und versuchen, die Blätter chronologisch richtig einzuordnen. Das Gleiche gilt für seine Schüler. Wie haben die gezeichnet? Wann könnten sie das gezeichnet haben? Man muss also Beweise führen können, diese genau darlegen und wissenschaftlich begründen, sonst wird es willkürlich.
Was macht Rembrandt in Ihren Augen so besonders?
Er ist ein Künstler, der in das tiefste Innere der Menschen einzudringen vermochte, der durch Hell-Dunkel-Kontraste Spannung erzeugen kann. Das alles macht er mit unglaublich sparsamen Mitteln, mit großer zeichnerischer Ökonomie. Es gelingt ihm mit ein paar Strichen das Wesentliche auszudrücken. Und er hat auch eine einzigartige scharfe Beobachtungsgabe, ganz besonders in der Landschaft. Es geht ihm nicht allein darum, Details genau wiederzugeben, sondern versteht es, das ganze in Licht und Atmosphäre zu tauchen und lebendig erscheinen zu lassen und allgemein gültige Ideen zum Ausdruck zu bringen. Er zeigt zum Beispiel an einem Gewitterhimmel, was für kosmische Kräfte am Werk sind. Seine Schüler versuchten dies nachzuahmen, haben das aber nur zum Teil verstanden. Die universale Sicht der Dinge, die zugleich ins Individuelle geht, hatten sie nicht.
Sie haben in der Albertina bisher vor allem Ausstellungen mit italienischen Renaissancegrößen wie Raffael oder Michelangelo kuratiert. Sind solche Blockbuster derzeit überhaupt realisierbar?
Das Organisieren großer Ausstellungen ist deutlich schwerer geworden. Es mag überraschend klingen, aber bei uns wird wegen Covid teils an zwei Ausstellungen parallel gearbeitet, um eine Alternative zu haben, falls eine wichtige Ausstellung in einen Lockdown fällt und abgesagt werden muss. Für Herbst ist eine große Modigliani-Ausstellung geplant, die bereits zu einem früheren Termin hätte gezeigt werden sollen. Direktor Schröder gestaltet jetzt auch vermehrt Ausstellungen aus unseren eigenen Beständen. Ab nächster Woche zeigen wir Landschaftskunst aus fünf Jahrhunderten mit Meisterwerken von Dürer, Rembrandt, Canaletto, Cézanne, Rudolf von Alt, Klee und vielen anderen.
Bei den großen Wiener Museen ist derzeit von einem Besucherrückgang von bis zu 90 Prozent die Rede. Wie viele Besucher hatten Sie bei Raffael & Co.?
Jeweils so um die 350.000 Besucher. Dass wir solche Zahlen bei der derzeitigen Situation wieder erreichen können, ist leider völlig illusorisch.