So alt wie die Stadt selbst, ist die Aufteilung in die „gute“ und „böse“ Seite der Mur. Gearbeitet wird auf der rechten, gut gewohnt auf der linken – ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, das das Stadtleben nach wie vor beeinflusst. „Was können wir als Bürger machen, um die Zukunft unserer Stadt anders zu gestalten als die Gegenwart?“, diese Frage stellen sich Barbara Balsei und ihre Kollegen vom Projekt „garbage.city.death“ im Rahmen von „Graz Kulturjahr 2020“. Musiker, Biologen, Sounddesigner, Architekten – um herauszufinden, wie eine „gute Stadt“ geschaffen werden kann, wurde in jedem der zehn Stadtspaziergänge ein anderer Fokus herausgearbeitet. Im letzten dieser City Walks führt Sozialhistoriker Joachim Hainzl durch den Grazer Süden und erzählt über die Randbezirke.
Unsichtbare Seiten der Stadt
„Hier finden wir Institutionen, die man in der Herrengasse nicht unbedingt sehen möchte“, erklärt Hainzl mit Blick auf ein Laufhaus nahe des Karlauergürtels. Der Sozialhistoriker mit einer Sammlung von rund 50.000 leeren Zigarettenschachteln hat eine Leidenschaft für Dinge entwickelt, die manch anderer als Abfall bezeichnen würde. Unter dem Titel „Recylced History“ hat er seine Privatsammlung von geretteten Geschichten im Zuge des steirischen herbst 2015 öffentlich gemacht. Während des Spaziergangs lädt er auch seine Zuhörer ein, die Augen stets offenzuhalten und die Schönheit in Dingen zu sehen, die andere als Müll erachten.
Vom Grazer Hochsicherheitsgefängnis über das ehemalige Futtermittelwerk Tagger bis hin zu Moscheen – der rund zweieinhalb Stunden lange Rundgang führt quer durch an den Stadtrand gedrängte Orte. „Man könnte meinen, hier wird soziale Ungleichheit geschaffen und verstärkt“, erklärt er, „Wie werden zum Beispiel nie Muslime als Teil unserer religiösen Vielfalt erleben, weil wir sie nicht sehen.“ In der Stadtgeschichte sei die linke Murseite nicht nur aufgrund von geographischen Aspekten zum Machtzentrum geworden, diese Entscheidungen wurden auch bewusst getroffen: Alles, das nicht ins schöne Bild der bürgerlichen Gesellschaft passte, musste weichen. Industrie, Armut, Abfall – alles wurde Teil der „bösen“ Seite der Mur. Und ist es auch noch heute.
Eine Stadt reparieren
Wer mehr über das Projekt „garbage.city.death“ erfahren möchte, sollte im kommenen Juni an der Abschlusskonferenz teilnehmen. Hierbei wird ein Blick zurück auf die Ergebnisse der Workshops und City Walks geworfen und für alle Bürger ein Ausblick geboten, wie „unsere“ Stadt repariert werden kann. Weitere Infos hierzu folgen in den nächsten Wochen auf der Website des Projekts.
Magdalena Wagner