Man muss ja nicht zwangsläufig mit dem Spruch „Kinder, wie die Zeit vergeht!“ ins Haus fallen, aber manchmal eben doch: Denn anhand von Bakelit, dem ersten synthetischen Kunststoff, zeigt sich, wie sich die Zeiten eben doch ändern: Wir schreiben das Jahr 1907 und der belgische Chemiker Leo Hendrik Baekeland (1863–1944) präsentiert ein kostengünstiges Isolationsmaterial für die Elektroindustrie: Bakelit, das auf dem Kohlenwasserstoffprodukt Phenol fußt.

Eines war damals zentral: Man entfernte sich von Naturstoffen wie Schellack und Zelluloid. Heute ist Bakelit das, was man wohl einen Problemstoff nennt: Es ist weder abbaubar noch recycelbar. Doch für die Jahrhundertwende und Jahrzehnte darüber hinaus war Bakelit der Stoff, aus dem modernisierte Gebrauchsgegenstände, die den Alltag maßgeblich beeinflussten, gebaut wurden, und Kreativmaterial für Designer. Mehr als 300 solcher Bakelit-Gegenstände – vom Fernseher über das Telefon bis hin zu Mixer, Plattenspieler und Reisebügeleisen – sind derzeit im Wiener Museum für angewandte Kunst als Sonderschau gruppiert. Die Leihgaben der Sammlung des Wiener Galeristen Georg Kargl erlauben in ihrer Geballtheit den Blick in eine Zeit, in der das Radio und später das Fernsehen auf dem Sprung zum Massenmedium waren.

Jumo-Tischlampen, 1945
Jumo-Tischlampen, 1945 © MAK/Georg Mayer

Bakelit machte eines möglich: Technik und Design unter einen Hut zu bringen. Die Geräte waren nicht nur ein Zeichen des Fortschritts, sondern auch formschön und Einrichtungsgegenstände. Doch das wäre noch zu kurz gegriffen, denn das Radio wurde zum Massenmedium, das Information in Echtzeit ermöglichte. Gleiches gilt für das Telefon: Aus heutiger Sicht sind die schwarzen Telefone mit Wählscheibe nichts anderes als Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Doch auch wenn sie längst verstummt sind, erzählen sie von den Anfängen einer Kommunikationsgesellschaft.

Bakelit punktete ab den 30ern bei Designern. So erdachte etwa der US-Industriedesigner Walter Dorwin Teague 1941 für Polaroid aus einem klobigen Etwas eine Tischlampe, die längst zum Designklassiker avanciert ist. Für Kodak entwarf er die legendäre Kamera „Baby Brownie“ mit Bakelit-Gehäuse. Doch schon damals fürchtete man den Fluch, dass Kunststoff den Anschein des Billigen haben könnte, und warb für das Gerät mit dem Slogan: „Not a toy, but a camera!“ („Kein Spielzeug, eine Kamera!“).

Babyfon „Zenith Radio Nurse“, 1938 Entwurf: Isamu Noguchi
Babyfon „Zenith Radio Nurse“, 1938 Entwurf: Isamu Noguchi © MAK/Georg Mayer

Streamline Design, die Stromlinienform, surfte mit Bakelit auf der perfekten Welle: Das Material ermöglichte jene kurvige, tropfenförmige Form, die ihren Ursprung in den Experimenten mit dem Luftwiderstand hat. Noch heute wirken die 1945 zum Patent angemeldeten „Jumo Bolide“-Lampen der französischen Firma Brevete keinen Tag gealtert. Das gilt auch für das Babyfon „Zenith Radio Nurse“ des Bildhauers und Designers Isamu Noguchi aus dem Jahr 1938: Das Gerät spiegelt die Kopfform einer Kinderkrankenschwester wider. Banausen würden sagen: Da liegt der Helm eines Samurais im Kinderzimmer.