Der vormalige Verteidigungsminister Thomas Starlinger hatte im Herbst aufgrund von zunehmender Kritik eine Evaluierungskommission unter dem Vorsitz des Museumsbundchefs Wolfgang Muchitsch eingesetzt, dessen Bericht Ende März dem Ministerium übermittelt werden soll. Dabei handelt es sich jedoch nur um die erste Phase der Evaluierung, in der der Ausstellungssaal "Republik und Diktatur (1918-1945)" unter die Lupe genommen wurde. In einer weiteren Phase soll das ganze Museum mit seinen Außenstellen untersucht werden, hier rechnet man mit Ergebnissen bis Ende des Jahres.
Zu diesem Zeitpunkt könnte es bereits eine neue Leitung des HGM geben.Der Vertrag von HGM-Direktor Mario Christian Ortner (Interview mit ihm hier) ist ausgelaufen; bis zur Ausschreibung führt er die Geschäfte weiter fort. Wann mit einer Ausschreibung zu rechnen ist, konnte das Ministerium am Freitag gegenüber der APA nicht sagen. Wie Ortner bekräftigte, will er sich erneut bewerben. Sollte er wieder bestellt werden, will er nicht nur die Ergebnisse der Evaluierungskommission und des Rechnungshofs in seine künftige Arbeit einbauen, sondern auch Ergebnisse einer Veranstaltung, die sich kürzlich der Zukunft des Museums widmete: Im Rahmen der - extern von Kritikern organisierten - Tagung "#HGMneudenken" standen zahlreiche Statements von renommierten Wissenschaftern auf dem Programm.
HGM: Militärgeschichte zwischen Panzer und Dollfuß-Couch
Betritt man das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) im Wiener Arsenal, wird man augenblicklich in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Und das nicht nur, weil sich der Kassenbereich in der Feldherrenhalle befindet. Bis zur Wiedereröffnung 1955 reichen Teile der Dauerausstellung zurück, die letzte große Neuerung gab es mit der Neugestaltung des Saals zum Ersten Weltkrieg im Jahr 2014.
Und so ist ein (vor der Corona-bedingten Schließung gemachter) Rundgang durch das Haus, an dessen Fassade der Schriftzug "Kriege gehören ins Museum" prangt, nicht nur ein Spaziergang durch 400 Jahre Militärgeschichte, sondern auch durch 65 Jahre Museumsgestaltung. Zumindest beinahe, wie Andrea Brait, Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und am Institut für Fachdidaktik in Innsbruck, bei einem APA-Lokalaugenschein hervorhebt. Denn selbst die 2014 eingerichtete Schau entspreche nicht dem "State of the Art" zeitgenössischer Museologie. Ganz zu schweigen von jenem Saal, um den im vergangenen Herbst eine hitzige Debatte entbrannt ist: "Republik und Diktatur - Österreich 1918 bis 1945". Mit der 1998 eröffneten Dauerausstellung wurde damals eine historische Lücke geschlossen. Seither gab es einige Veränderungen des seit 2007 amtierenden Direktors M. Christian Ortner, dessen Stelle demnächst neu ausgeschrieben werden soll, die den militärgeschichtlichen Aspekt in den Vordergrund stellten.
"Das HGM hat im Unterschied zu vielen anderen Häusern keine durchgängige Dauerausstellung, die in einem Guss entstanden ist", erläutert Brait, die sich in ihrer Forschung u.a. der musealen Darstellung von Geschichte sowie Geschichtsdidaktik widmet. "Anders als etwa in Dresden, wo sich ein Team ein Konzept für ein ganzen Haus überlegt hat", handle es sich beim HGM um Stückwerk. "Dementsprechend unterscheiden sich die Museen vollkommen in Darstellung, Botschaft und Ausstellungsgestaltung. Das kann man nicht gleich bewerten." Dieser Umstand sei in der Diskussion bisher "total zu kurz gekommen". Der inkriminierte Saal sei bereits damals eine "Übergangslösung" gewesen, für den man den bisherigen Marinesaal verkleinert und in einen hinteren Raum verlegt hat. "Das war damals ein riesiger Kompromiss", so Brait. Das habe auch dazu geführt, dass die Geschichte der Ersten Republik und des Zweiten Weltkriegs "sehr kompakt" geraten sei, "mit einem kleinen Ausblick auf die Besatzungszeit".
"Was mich immer schon gestört hat war, dass das Konzept für Laien nicht nachvollziehbar gemacht ist", erklärt Brait beim Betreten von "Republik und Diktatur". Angelegt sei die Schau so, dass man sich auf der linken Seite, "die aussehen soll wie Gemeindebauten", eher der allgemeineren Geschichte gewidmet habe, während auf der rechten Seite die Militärgeschichte abgehandelt werde. Inzwischen gebe es zwar eine "stärkere Durchmischung zwischen Militärgeschichte und Zivilgeschichte", zumeist fehlen jedoch erklärende Objekt- und Vitrinentexte. Auffallend: Die Ausstellung beginnt und endet mit Karl Renner. "Damit haben wir auch einen ziemlich starken Fokus auf das Wirken von Einzelpersonen. Das würde man heute nicht mehr machen."
Apropos alte weiße Männer: Scharf kritisiert Brait diesbezüglich eine Wand mit Porträts der Bundeskanzler der Ersten Republik. Nur wer genau hinsieht (oder die Namen im Gehirn abgespeichert hat), bemerkt: Arthur Seyß-Inquart - NSDAP-Kanzler (wenn auch nur für drei Tage) - fehlt. "Damit wird ein Aspekt der österreichischen Geschichte, der breit diskutiert und beforscht wurde, nämlich die Beteiligung der österreichischen Bevölkerung am Aufstieg des Nationalsozialismus, ausgeklammert", so Brait. Auch, wenn im Zuge der Anschaffung der Porträts, die eigentlich für das von Renner geplante Museum der Ersten und Zweiten Republik gemalt wurden, sein Bildnis fehlte, hätte man hier darauf verweisen können - "sei es durch einen leeren Rahmen oder Fotos", so Brait. "Das könnte man sehr wohl thematisieren, ohne ein passendes Objekt zu haben."
Sehr viele Objekte gibt es hingegen, wenn es um Propaganda geht: Auf einer Litfaßsäule hat man Dollfuß-Plakate angebracht, die "zur Kreation eines Mythos" geschaffen wurden, was nicht unkommentiert bleiben dürfe. Direktor M. Christian Ortner verweist an solchen Stellen auf das umfassende Vermittlungsprogramm, das extra für Schulklassen entwickelt wurde. Alle anderen Besucher - Kleinkinder, Studenten oder Touristen - werden hingegen mit den Eindrücken allein gelassen. So auch ein paar Meter daneben, wo die Couch, auf der Dollfuß nach dem Attentat starb, ohne weitere Erklärungen ausgestellt wird. Überhaupt handle es sich bei der Schau um eine stark nationalgeschichtlich orientierte Lesart - "nicht mehr zeitgemäß", erklärt Brait. Seit Beginn der 2000er Jahre setze man immer mehr auf multiperspektivische und subjektorientierte Erzählungen - "wie ging es dem Einzelnen im Krieg?". Davon ist hier wenig zu erleben. Lediglich eine Vitrine mit "Kriegsmüll" aus Stalingrad lässt erahnen, wie es sterbenden Soldaten (beider Seiten) auf dem Schlachtfeld erging. Auch Darstellungen von der Auswirkung des Krieges fehlen Brait, wohingegen den Auslösern - Panzern, Flugzeugen, Waffen - deutlich mehr Platz eingeräumt wird.
Zur Zeit, als die Ausstellung unter Manfried Rauchensteiner entwickelt wurde, sei es dennoch "für die damalige Zeit ein enormer Schritt nach vorn gewesen", betont Brait. So sei damals das Zeigen von zivilgesellschaftlichen Aspekten in einem nationalen Militärmuseum schon ein außergewöhnlicher Schritt gewesen. Die Ausstellung von diversen Devotionalien - etwa einem bestickten Hakenkreuz-Polster - sei ein ewiges Dilemma. "Zeigt man etwas, läuft man Gefahr, jenes Gedankengut, das man nicht reproduzieren will, auszustellen. Fehlt es aber, ist es auch problematisch, zumal damit eine Ausblendung erfolgen würde", fasst Brait zusammen. In Einzelfällen hebt sie jedoch sehr wohl gut kontextualisierte Ausstellungsstücke wie etwa eine Dollfuß-Gedenktafel, zu der es mittlerweile eine längere Erklärung gibt, oder eine hinter einem Glaszylinder angebrachte Hitler-Büste hervor. So sei es aus keinem Blickwinkel mehr möglich, die Büste ohne Spiegelungen und Brechungen zu betrachten.
Mittlerweile gebe es in dem Saal wieder einen stärkeren Fokus auf die Militärgeschichte an sich. "Das ist gegenläufig dem internationalen Trend, das irritiert total", so Brait. Grundsätzlich könne man "alles zeigen", die Frage sei vielmehr das Wie. "Problematisch ist es, wenn ich Objekte einfach nur zur Schau stelle und die Leute dazu einlade, sie zu bestaunen", kritisiert Brait. "Man kann Objekte auch missverstehen."
Den Versuch einer Narration erkennt Brait etwa in den aufgestellten Militärstiefeln samt Uniformen, die für den Einmarsch in unterschiedliche Länder stehen. Das verursachte Leid bleibt jedoch weitgehend ausgeklammert. Selbst die - leicht zu übersehende - Vitrine zu den Konzentrationslagern fokussiert vor allem auf die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie, ein Häftlingsgewand mit Judenstern scheint erst kürzlich eine neue Beschriftung bekommen zu haben, was das Weiß der Tafel neben dem Objekt erahnen lässt. Im Vitrinentext kommt der Holocaust namentlich allerdings nicht vor. Dieser Themenkomplex werde in verschiedenen Museen sehr unterschiedlich gestaltet - bis hin zu Vitrinen, "an denen man nicht vorbeikommt".
Eine gewisse Kontextualisierung ortet Brait im Einsatz von Gemälden, die laut der Expertin jedoch zu dünn gestreut, zu klein sind und darüber hinaus schon Alterserscheinungen aufweisen. Hier wird das Leid - allerdings ebenfalls ohne dazugehörige Texte - zumindest künstlerisch thematisiert. Sie streifen den Komplex "Wie ging es den Menschen, die am Krieg teilnehmen mussten?".
Braits Fazit: Bisher habe es noch kein Direktor geschafft, das ganze Museum neu zu positionieren. Besonders wichtig seien Objekttexte, die man Besuchern als Angebot zur Hand reichen sollte. Diese waren laut Ortner bereits geplant, als man das Projekt wegen der aktuellen Untersuchungskommission wieder auf Eis legen musste. "Man muss davon ausgehen, dass Leute Objekte nicht selbst deuten können", unterstreicht Brait. Für eine künftige Direktion - der Posten wird demnächst neu ausgeschrieben - wünscht sich die Historikerin jemanden mit "umfassender Expertise, die sich nicht nur auf Militärgeschichte beschränkt". Neben Management-Fähigkeit brauche es auch "sehr gute Kenntnisse in der Museologie". Bis dahin sei jedem Besucher geraten, sich einer Führung anzuschließen. Um den reichen Schatz, den das Museum unbestreitbar birgt, auch wirklich zu verstehen.