Mit der 51-jährigen deutschen Biologin Katrin Vohland übernimmt erstmals eine Frau die Leitung des Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Sie löst am 1. Juni den Impaktforscher Christian Köberl an der Spitze des Hauses ab, das er zehn Jahre geleitet hat. Neben dem Museums- und Forschungsbereich bringt Vohland auch Erfahrung als Grüne Landespolitikerin und in Sachen Bürgerwissenschaften mit.
Die am 29. September 1968 in Hamburg geborene Wissenschafterin studierte Biologie in Bielefeld und Bayreuth, wo sie im Bereich Tierökologie mit einer Diplomarbeit zum Thema "Ressourcennutzung und Verhalten eines Marienkäfers" abschloss. Ab 1995 folgte eine vierjährige Tätigkeit in der Abteilung Tropenökologie am Max-Plack-Institut für Limnologie in Plön, im Rahmen derer sie etwa im Amazonasgebiet zu Artenbildung und Biodiversität forschte. Das war auch das Thema ihrer Dissertation, mit der sie 1999 an der Universität Kiel promovierte.
Ihren wissenschaftlichen Weg führte die dreifache Mutter am Museum für Naturkunde Berlin (MfN) fort, wo sie zur Artenvielfalt und Landnutzung im südlichen Afrika forschte. 2005 wechselte sie an den Lehrstuhl Vegetationsökologie und Naturschutz der Universität Potsdam. Zwischen 2006 und 2009 war Vohland am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) für das Projekt "Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel - Risiken und Handlungsoptionen" verantwortlich.
Seit 2009 war die Biologin durchgehend am MfN tätig und übernahm dort 2012 die Leitung des Forschungsbereichs "Wissenschaftskommunikation und Wissensforschung" und die Leitung der Abteilung "Wissenschaft in der Gesellschaft". In den vergangenen Jahren war Vohland vor allem im Bereich "Bürgerwissenschaften" (Citizen Science) wissenschaftlich aktiv und engagierte sich im Aufbau des "Netzwerk-Forum Biodiversitätsforschung Deutschland" (NeFo). Die Wissenschafterin unterhält auch Verbindungen nach Österreich: So ist sie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Nationalparks "Hohe Tauern" und Teil des Beirats der "Österreichischen Citizen Science Konferenz 2020".
Seit den 1990er Jahren ist die neue NHM-Chefin auch bei den deutschen Grünen (Bündnis 90/Die Grünen) aktiv. Von 2005 bis 2007 war sie gemeinsam mit Axel Vogel Parteivorsitzende des Landesverbandes der Grünen im deutschen Bundesland Brandenburg. Im vergangenen Jahr kandidierte sie für die Landesliste der Grünen in Brandenburg. In ihrer "Bewerbung" für die Landesliste im Kreisverband Potsdam strich Vohland vor allem das Thema "Gerechtigkeit" - auch aus dem Blickpunkt schwindender Artenvielfalt - heraus. Laut Staatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) wird Vohland ihre Parteimitgliedschaft ruhend stellen.
Katrin Vohland freute sich "unglaublich" über ihre Bestellung, sie wisse, dass das mit sehr großer Verantwortung verbunden sei, "weil es um ein besonderes Haus geht". Das Naturhistorische Museum (NHM) Wien sei "ein echtes Forschungsmuseum", am Haus reize sie vor allem seine starke Interdisziplinarität, mit der es "ein großes Potenzial hat, die Fragen der Zukunft zu beantworten".
Sie habe den Eindruck, dass das NHM auf einem Weg sei, sich stärker zu öffnen, und es habe die Forschung stark aufgebaut, dieser Weg sei richtig. Auch die Öffnung der Wissenschaft unter dem Schlagwort "open science", etwa in Form der Erschließung der Sammlung, hält Vohland für wichtig. Die Idee sei richtig, Ergebnisse und Daten der Forschung öffentlich zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist Vohland die Provenienzforschung. Sie wisse, dass sich das Museum schon intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt habe, sie verwies aber auch auf "Provenienzen aus dem kolonialen Kontext".
Ein Anliegen ist Vohland der Wissenstransfer. Dieser müsse strategisch ausgerichtet sein an dem was das Museum erforscht. "Dann kann man sehr konzertiert überlegen, was ist wichtig für die Ausstellungen, welche Formate erarbeite ich für Schülerinnen und Schüler, wo ist die Wirtschaft interessiert an Ergebnissen", so Vohland. Sie will auch erforschen, was in der Öffentlichkeit tatsächlich ankommt und welche Wirkung Forschung hat. "Die Frage ist, was wollen wir erreichen, wenn wir bestimmte Bildungsprogramme oder Ausstellungen haben. Ein wichtiges Ziel ist, dass die Menschen von Natur und Wissenschaft begeistert sind, aber auch, dass sie verstehen, wie Wissenschaft funktioniert." Und sie will sich auch mit jenen Gruppen auseinandersetzen, "die nicht jeden Tag ins Museum gehen und den Wissenschaftsteil der Zeitung lesen".
Vohland wurde aus acht Bewerbern ausgewählt. Drei Personen wurden von der Berufungskommission auf die Shortlist gesetzt, wobei mit dem amtierenden Direktor Christian Köberl und Vohland zwei Personen als "besonders geeignet" eingestuft wurden. Die Entscheidung von Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek fiel dann auf Vohland.
Köberl hatte sich in einer ersten Reaktion auf die Nichtverlängerung seines Vertrags "sehr enttäuscht" gezeigt und gefragt, was er falsch gemacht habe. "Er hat sehr viel richtig gemacht", sagte Lunacek und nannte als Beispiel die Steigerung der Besucherzahlen, die aber auch die anderen Museen hätten. Aber Köberls Vertrag laufe aus, und sie habe sich gefragt, ob für die Herausforderungen einer Zeit, die uns alle vor große Schwierigkeiten stelle, nicht jemand besser sei, "der etwas mehr in den Bereich geht: Wie erreicht man die Bevölkerung? Wie gelingt es, das, was an Wissen und Ausstellungen da ist, den Menschen nachhaltig mitzugeben?" - "Köberl ist ein großartiger Forscher. Aber ein kompletteres Bild dessen, was ein Museumsdirektor heute zu leisten hat, das habe ich viel mehr bei Frau Vohland gesehen", so Lunacek. "Vohland hat das Bild einer modernen Museumsdirektorin vermittelt."
Markus Roboch, bisher kaufmännischer Geschäftsführer im Jüdischen Museum Wien und zuvor im Bereich Controlling im Kunsthistorischen Museum Wien tätig, folgt auf den bisherigen kaufmännischen Geschäftsführer des NHM, Herbert Kritscher, der in Pension geht. Er wurde aus 24 Bewerbern ausgewählt. Er wolle verstärkt Marketingaktivitäten für das Museum durchführen, das im öffentlichen Raum präsenter sein soll, aber auch die virtuelle Präsentation sowie den Social Media-Bereich verstärken, erklärte Roboch, der zudem auf Drittmittelfinanzierung und Corporate Sponsoring setzt. Zudem will er für das NHM das Österreichische Umweltzeichen, hier gebe es Handlungsbedarf. Wichtig ist Roboch zudem Inklusion, wobei er darunter nicht nur physische Barrierefreiheit versteht, sondern etwa auch "Nicht-Besucher-Forschung mit der Frage, welche Barrieren gibt es, dass Menschen nicht ins NHM gehen".