Regelmäßigen Besuchern des Kunsthistorischen Museums sind sie nicht selten eine Art Familienmitglied, auch, weil man bei ihnen meist länger verweilt, als bei Kunstwerken des Hauses. Schon dem Namen des Künstlers wohnt eine Art magische Anziehungskraft inne: Caravaggio. Seine Chancen stehen blendend, dass er irgendwo bei diversen Millionenshows als Frage auftaucht. Somit ist auch für die breite Öffentlichkeit unbestritten: Es handelt sich bei ihm um einen Künstler von Weltrang. Auch, weil seine Biografie ein paar Einschnitte aufweist, die auch bei wenig kunstaffinen Menschen ein gewisses Interesse weckt. Der Mailänder Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) wird bisweilen gerne als Bad Boy der Kunstgeschichte bezeichnet.
Die Kunstgeschichte und vor allem Historiker können darüber freilich nur müde lächeln, denn Zank und Hader, Mord, Totschlag und raue Sitten waren zur damaligen Zeit eher Usus. Fakt ist jedoch auch, dass Michelangelo Merisi da Caravaggio, meist nur Caravaggio genannt (nach seinem Herkunftsort), 1606 in Rom seinen Gegner bei einem Streit tödlich verwundet.
Daraufhin muss er Rom, wo er sich längst als Künstler etabliert hat, verlassen. An einem Auf- und Ab der Gefühle herrschte bei Caravaggio also kein Mangel. Mehr noch, die überbordende Gefühlswelt ist die Grundlage seiner Kunst, die im frühbarocken Rom zwischen 1600 und 1650 alles überstrahlt. Buchstäblich, denn die Hell-Dunkel-Technik des gebürtigen Mailänders ist unübertroffen. Weil seine Bilder den Betrachter aufwühlen und anrühren oder gar ein Lächeln entlocken. Genau deshalb nennt das Kunsthistorische Museum seine Herbstausstellung auch "Entdeckung der Gefühle".
Es ist eine spannende Mischung, die Caravaggio zur damaligen Zeit zusammenspannt, nicht selten sind es religiöse Motive, die er mit seiner Form der Malerei lebendig macht und ihnen Leben einhaucht. "Nie wurde mit mehr Energie und Einfallsreichtum an der Darstellung von Gefühlen gearbeitet als im Rom des 17. Jahrhunderts", so die Kuratorin Gudrun Swoboda. Viele andere Künstler hat Caravaggio geprägt, das Kunsthistorische Museum kann hier aus dem Vollen schöpfen: Mit rund 40 Gemälden besitzt man größten Bestand an "caravaggiesker Malerei", wie Stephan Weppelmann, der Direktor der Gemäldegalerie erklärt. Um diese überbordende Welt der Gefühle raumgreifend wirken zu lassen, wurde Caravaggio das einzig stimmige Gegenüber für diese Ausstellung "verpflichtet" - der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini (1598-1680).
Schon im ersten Raum harmoniert dieser Paarlauf bestens: Berninis furchterregende "Medusa" giftet in den Raum, während sich daneben ganz selbstvergessen der "Narziss" von Caravaggio betrachtet. Zwei Worte würden, wären sie nicht die Leitmotive des Raumes, einem unmittelbar in den Sinn kommen: Entsetzen & Schrecklichkeit. Diese Gefühlspaarungen ziehen sich durch alle Ausstellungsräume: Wunderbares & Staunen, Liebe, Vision, Leid & Mitleid, Lebhaftigkeit, Bewegung & Aktion sowie Scherz.
Der Hell-Dunkel-Rhythmus spiegelt sich auch in der Raumgestaltung (Michael Embacher) wider: dunkle Räume, in denen die einzelnen Kunstwerke dramatisch aufleuchten. Apropos Drama: Gleich in eben diesem ersten Raum zeigt sich der Genius von Caravaggio: Seinem "David mit dem Haupt Goliaths" werden die thematisch gleichen Werke von Tanzio da Varallo und Valentin de Boulonge gegenübergestellt. Bei all der Schönheit der Nachahmer, Caravaggio bleibt unübertroffen.
Das dürfte Caravaggios Zeitgenosse Giovanni Baglione (um 1566-1643) schon damals klar gewesen sein. Er versuchte sich nach Caravaggio am gleichen Thema und erntet mit seinem "Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor" (eine Leihgabe der Staatlichen Museen zu Berlin) viel Spott und Hohn. Ein Verleumdungsprozess, den er gegen Caravaggio anstrebt, macht aus den beiden Konkurrenten Feinde. Nichtsdestotrotz oder vielleicht grade deshalb, verfasst Baglione die erste Caravaggio-Biografie. Der dramatische Ruf, den Caravaggio bis in die Jetztzeit hat, ist auch Baglione zu verdanken.
Neben Giovanni Baglione sind insgesamt rund 70 Leihgaben aus aller Welt zu sehen, darunter Caravaggios "Hl. Johannes der Täufer" aus den Musei Capitolini und auch Guido Renis "Bethlehemitischer Kindsmord" aus Bologna. Besonders sehenswert ist "Maria Magdalena in Ekstase" von Artemisia Gentileschi, das bislang öffentlich noch nie zu sehen war. Eine Gefühlsaufwallung der Extraklasse.