Nähert sich ein Hase in der freien Natur einem Wiesenstück, dann ist die Sache für gewöhnlich gegessen: In der Wiener Albertina kann man schnell Entwarnung geben, ohne jedoch die Aufregung herunterzufahren. Denn die Albertina besitzt mit fast 140 Arbeiten nicht nur die weltweit größte Dürer-Sammlung, sondern "sicher auch die qualitativ hochwertigste", wie Chefkurator Christof Metzger nachschärft. Keine Frage: Mit den Klassikern wie "Der Feldhase", dem "Großen Rasenstück" und dem "Blaurackenflügel" könnte man Dürer grundsätzlich zu den Aushängeschildern einer Dauerausstellung machen - wenn der Zahn der Zeit nicht an den mehr als 500 Jahre alten Werken nagen würde. Für Feldhase und Co. heißt das also nicht weniger als eine strenge Stallorder: ab ins Depot.

Das erklärt vielleicht auch, warum eine Dürer-Ausstellung mit allen Klassikern in etwa die Wirkung entfaltet wie ein Massenstart bei einem Marathon: Es wird ein Quotenrenner. Wie zuletzt im Jahr 2003, damals kamen rund 430.000 Besucher. Wenig verwunderlich, wenn Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder klarstellt: "Man braucht keine Jubiläen, es ist diese einzigartige Vorurteilslosigkeit, mit der der große Humanist die Welt beobachtet". Dass die Ausstellung schon im Jahr 2019 stattfindet und nicht zu Dürers 550. Geburtstag im Jahr 2021, ist nicht ganz uneigennützig, wie Schröder bei der Pressekonferenz zugibt: Denn wenn eine Dürer-Schau ein Privileg sei, dann ist eine zweite Dürer-Ausstellung "der Gipfel der Privilegien". Der Hintergrund ist schnell erklärt: Schröder plante für 2019 nicht nur seinen Abgang - mit Dürer. Daraus wurde bekanntlich nichts.

Doch nicht nur große Ausstellungshäuser wissen: Dürer geht immer. "Albrecht Dürer ist deswegen so aktuell, weil er sich diesen ersten, diesen frischen Blick erhält", wie Schröder erklärt. Das Renaissance-Genie aus Nürnberg darf tatsächlich als Innovator an der Schwelle zum beginnenden 16. Jahrhundert bezeichnet werden. Schon als 13-Jähriger (gleich zu Beginn der Ausstellung zu sehen) fertigt er ein Selbstporträt an, das auf sein weiteres Werk hinausweist: Eine unbändige Neugierde auf das, was da noch alles kommen mag. Und das ist bei Dürer eine Menge: Zwei maßgebliche Reisen nach Italien, die seine Kunst und sein theoretisches Verständnis davon maßgeblich beeinflussen sollten. Nicht zu vergessen, der gebürtige Nürnberger war ein begnadeter Netzwerker.

Chefkurator Christof Metzger geht hier den klassischen, chronologischen Weg, beginnt mit Herkunft und Familie und führt über wichtige Stationen seines Künstlerlebens bis hin zu seinen Auftragsarbeiten für Kaiser Maximilian I. Zu sehen sind neben Dürers Aktstudien auch seine frühen Tier- und Pflanzenstudien, gefolgt von den großen Naturstudien wie "Das große Rasenstück", "Der Feldhase" und der "Flügel einer Blauracke". Diese Werke sind zwar echte Klassiker, Dürer hat sie jedoch als "nur" Musterblätter für seine Werkstatt angefertigt. Ihrer Faszination tut das keinen Abbruch, wie auch Metzger meint: "Das ist der Gipfel an Beobachtung und Wiedergabe".

© APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)

Im Gegensatz zur Ausstellung im Jahr 2003, ist der elfteilige Zyklus der "Grünen Passion" nun wieder zu sehen. War der Zyklus
zwischenzeitlich nicht mehr Dürers Oeuvre zugeordnet, konnte die Provenienzforschung in den letzten Jahren hier wieder Licht ins Dunkel bringen. Gut nachvollziehbar ist auch der Wandel Dürers vom Meister der Linie hin zum Meistermaler. Auch immer wieder faszinierend sind seine Konstruktionsstudien: Dürers akribische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper. Abgerundet wird die Schau mit hochkarätigen Leihgaben aus Europas führenden Häusern, darunter: "Die Anbetung der Könige" (Uffizien), das "Bildnis eines bartlosen Mannes" (Prado), das frühe nackte Ganzkörperselbstporträt aus Weimar, der "Heilige Hieronymus" (Lissabon) und die "Marter der zehntausend Christen" aus dem Kunsthistorischen Museum.

Das ergibt in Summe eine Überfülle, die von einem erfüllten Malerleben erzählt. Nicht zu vergessen: Diese Werke sind mehr als 500 Jahre alt und zeugen von einer Antriebskraft, deren Motor einem geschuldet war: Sich mit wachem Auge einem gesellschaftlichen Umbruch zu stellen - mit unbändiger Neugierde, nicht mit Angst. Vielleicht ist Dürer gerade deshalb aktueller denn je.