Renate Bertlmann ist die erste Frau in der Biennale-Geschichte, die im Hoffmann-Pavillon eine Einzelausstellung zeigen darf. Warum hat es so lange gedauert bis dieser Anachronismus beendet wurde?
FELICITAS THUN-HOHENSTEIN: Die Geschichte der Moderne ist bekanntlich unter Auslassung von Künstlerinnen geschrieben worden. Erst in den letzten Jahren ist ein Bewusstsein für diese strukturelle Schieflage und Diskriminierung entstanden. Mit Renate Bertlmann zu arbeiten, war daher von Anfang an eine klare Entscheidung und Teil meines eingereichten Konzeptes.
Warum gerade Bertlmann und nicht eine andere Künstlerin?
Sie ist genau die Künstlerin, die wir jetzt brauchen. Sie ist die beste Antwort auf eine politisch schwierige Gegenwart. Bertlmanns künstlerische Arbeiten nehmen uns mit starken ästhetischen, bisweilen plakativen, ironischen Bildern ein, um im nächsten Augenblick durch minimale ästhetische Eingriffe, unsere Wahrnehmung zu destabilisieren und neue Lesarten herauszufordern. Dieser Moment, in dem das konzeptuell und das ästhetisch Brisante in den Werken aufeinandertreffen, ist für mich einer der spannendsten und gesellschaftlich Wirksamsten, den die Kunst zu bieten hat. Als Kuratorin interessiert mich ein Blick, der in Bewegung bleibt, auch im Sinne einer Kunst, die intermediär in Bewegung geraten ist. Bertlmanns künstlerisches Forschen zielt permanent auf den damit verbundenen Moment der Transformation ab, eigentlich das einzig Beständige in ihrem Œuvre. Gesellschaftliche Symbole, Zeichen, Sprache und Zuschreibungen werden entleert, umdekliniert, und neu befüllt. Brennende gesellschaftliche Fragen werden sichtbar gemacht und künstlerisch vorangetrieben.
Welche brennenden Fragen wären das?
Fragen zum Menschsein, zu einer ganzheitlichen Sicht von Seele, Geist und Körper. Im Zentrum ihrer Arbeit steht natürlich der Körper und seine Analyse, Themen wie Machtverhältnisse, Sexualität und Pornografie, aber auch das Ausgesetztsein des Einzelnen im Vis-à-vis der Gesellschaft oder einer weltpolitischen Entwicklung. Bereits in den 70er Jahren hat sie Themen aufgegriffen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Sie hat zu einem relativ frühen Zeitpunkt, nicht nur feministische Fragestellungen durchdekliniert, sondern bereits queer-feministische Aspekte in ihre Arbeit einfließen lassen. Sie nimmt in diesen Arbeiten einen Diskurs vorweg, der eigentlich erst Ende der erst in den 1990er-Jahren sichtbar und aktuell wurde. Deshalb ist sie für viele jüngere KünstlerInnen – ich sehe das ja an der Akademie, wo ich schon die dritte Generation von Studierenden begleite – eine wichtige Orientierungsfigur; abgesehen davon, dass sie immer konsequent gearbeitet hat und auch durchgehalten hat.
Unter Kulturminister Drozda wurden für Österreichs Biennale-Teilnahme etliche Änderungen angekündigt. Der bisher übliche Titel „Kommissärin“ ist Ihnen ja erspart geblieben. Was hat sich sonst noch getan?
Strukturell hat sich außer der Namensänderung von Kommissar in Kurator noch nichts getan.
Also nach wie vor keine Trennung zwischen künstlerischer und organisatorischer Leitung?
Nein, ich verantworte alles – vollinhaltlich und vollfinanziell. Aber ich glaube, man wird das jetzt ändern. Man hat ja auch den Bestellungsmodus geändert, indem die Kuratoren-Findung auf eine breite Basis gestellt wurde. Das finde ich sehr gut.
Die Republik hat sich zuletzt mit 450.000 Euro an den Biennale-Kosten beteiligt. Wieviel mussten Sie noch zusätzlich auftreiben?
Mehr als doppelt so viel. Das war natürlich eine Aufgabe, die einen über weite Strecken von der inhaltlichen Arbeit abgelenkt hat. Was die Sponsoren betrifft, gab es aber glücklicherweise durchgehend eine sehr positive Resonanz.
Bei der letzten Biennale hat die Deutsche Anne Imhof den Goldenen Löwen für den besten Pavillon zugesprochen bekommen. Wie wichtig wäre Ihnen eine solche Auszeichnung für Bertlmann?
Es wäre schon großartig, wenn die erste Solo-Künstlerin im Hoffmann/Kramreither-Pavillon auch die erste Löwin für Österreich bekäme. Außerdem ist es natürlich wichtig, im internationalen Konzert so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu erzielen.
Was spricht Ihrer Meinung nach für den österreichischen Biennale-Beitrag?
Wichtig war uns, das Bild des Pavillons, seine Wahrnehmung und die Temporalität, die mit diesen Ausstellungen verbunden ist, in Bewegung zu bringen. Wir haben versucht das vorgegebene Zeitkorsett auszuweiten – ausgehend von den Biennale Lectures bis zu dem Aspekt, dass Renate Bertlmanns Venedig-Installation im Oberen Belvedere gezeigt wird. Zu diesem Zweck erscheint auch ein 600-seitiges Buch, das über die Biennale hinaus einen profunden Einblick in das Schaffen der Künstlerin ermöglicht. Auf „www.biennalearte.at“ kann man Einsicht in die Entwicklung des Projektes nehmen.