Peter Weibel = 75.
Peter Weibel = 1001011.
Peter Weibel = ja ein Schnellsprecher.
Wortsalven aus dem Magazin seiner Maschinengewehrzunge sind berüchtigt, aber noch mehr ist er ein Schnelldenker, und genau wenn du denkst, jetzt kannst du ihm folgen, ist der nach Eigendefinition „schnellste Mann der Welt“ längst schon wieder weiter, denn „Kunst kennt kein Wochenende“, und außerdem schaut er – der Flüchtlingsbub aus Odessa, der Hund an der Leine von Valie Export, der Brandredner der Uni-Wien-Rebellenaktion mit dem stichflammigen Handschuh – nie zurück, sondern immer voraus, schließlich „kann man die Zukunft gut voraussagen, wenn man sie selber macht“, folglich lautet der Titel der aktuellen Ausstellung in seinem Zentrum für Kunst und Medientechnologie „Writing the History of the Future“, und das Avantgardelabor in Karlsruhe ist heuer auch schon 30 Jahre alt und Weibel wollte sich eigentlich nach 20 Jahren als dessen Leiter ab Ende 2019 „endlich wieder als freier Mann der eigenen Kunst widmen“, hat aber noch ein Jahr verlängert und konzipiert für September die Schau „respektive Peter Weibel“ im Haus, die einen Überblick über sein Œuvre geben wird, außerdem bringt er im April den vierten Band seiner sechsteiligen Medien-Enzyklopädie heraus, der sich mit „Literatur und Medien“ befasst, denn mit modernen Medien hat sich der Universalkünstler mit der nie versiegenden Neugier schon in Theorie und Praxis befasst, als andere bei dem Thema noch ausschließlich mit dem Papier raschelten, in Weibels Vorderstübchen aber raschelten da vor mehr als 40 Jahren längst Einsen und Nullen und Codes und Bilder von Automaten und Robotern und später und bis dato mathemagische Bits und Bytes aus Worten, Zahlen, Fotos, Graphiken, Werkzeugen, weil er ein Mann der Daten ist und der Taten und man aus seiner Sicht die Gestaltung der Welt nicht nur der Politik und der Wirtschaft überlassen darf und die Symbiose von Wissenschaft, Kunst und Kultur unübertroffen ist und man mit ihr „Türen öffnen kann, wo sie keiner sieht“, so hat der Kreativ- und Querkopf schon immer gedacht und denkt er auch heute, da er seinen 75er feiert oder 1001011 Jahre, wenn man es streng binär nimmt, und wir gratulieren mit dieser kurzen Textsalve ganz herzlich!

Peter Weibel in seinem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe
Peter Weibel in seinem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe © ZKM/KK

Künstlerporträt der APA

Er ist Künstler und Kurator, Medientheoretiker und Museumsleiter, Schnellsprecher und Vielarbeiter: Seit 50 Jahren prägt Peter Weibel Medienkunst und Kunstdiskurs wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum. Am 5. März feiert der zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst, Vision und Subversion, Realität und Virtualität beheimatete Österreicher seinen 75. Geburtstag.

Eine öffentliche Feier wird es auf seinen eigenen Wunsch nicht geben, wie das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) auf APA-Anfrage mitteilte. Allerdings startet unter dem Titel "respektive Peter Weibel" am 21. September im ZKM eine große Ausstellung über das Werk von Peter Weibel, zudem erschein heuer der dritte Band seiner Enzyklopädie der Medien: Auf "Architektur und Medien" und "Musik und Medien" folgt "Kunst und Medien". Was Weibels Zukunft am ZKM bringt, ist hingegen noch offen. Im Vorjahr wurde sein bis 2019 laufender Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert, um einen längeren Vorlauf für die Suche nach einem Nachfolger zu haben. Laut Angaben des ZKM gibt es hier bis dato allerdings noch keine Regelung.

Auch wenn Weibel seit 1999 höchst erfolgreich in Karlsruhe agiert, ist er auch in seiner Heimat stets präsent - sei es als Kritiker, Förderer oder Ermöglicher. Erst im Herbst 2017 präsentierte er das "Peter-Weibel-Forschungsinstitut für digitale Medienkulturen" an der Universität für angewandte Kunst Wien. Die Einrichtung basiert auf einer 1.150 Exponate umfassenden Schenkung des Medienkünstlers. Anlässlich der Ausstellung "Ästhetik der Veränderung. 150 Jahre Universität für angewandte Kunst Wien" im MAK zeichnete er im Vorjahr gemeinsam mit Angewandte-Rektor Gerald Bast für den Zukunftsblick der Schau verantwortlich. "Man kann die Zukunft gut voraussagen, wenn man sie selber macht", gab er sich damals gewohnt humorvoll.

"Wie die Wissenschaftler wollen auch Künstler zur Veränderung der Welt beitragen", bekräftigte er auch 2015 im Rahmen der "Globale" am ZKM, wo im Rahmen von Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Performances 300 Tage lang die Zukunft der Moderne in den Blick genommen wurde. Bereits zwei Jahre zuvor hatte Weibel sich für eine "Digitalisierung der Kunst" als Aufgabe der deutschen Bundesregierungen ausgesprochen. "Wir brauchen eine Taskforce, die sich mit der Umsetzung von Kunst im digitalen Raum beschäftigt", sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Auf diesem Gebiet dürfe sich Europa nicht mit der Vormachtstellung der USA abfinden.

Weibels Schaffen wird entsprechend oft gewürdigt: So wurde dem Oskar Kokoschka-Preisträger zuletzt der Lovis-Corinth-Preis des Jahres 2020 zugesprochen, für 2017 erhielt er den Österreichischen Kunstpreis. Das deutsche Magazin "Cicero" führte ihn kürzlich auf seiner Liste der wichtigsten Intellektuellen des deutschen Sprachraums auf Platz 75.

Geboren wurde Weibel am 5. März 1944 als "Migrationsprodukt" in Odessa. "Dann flüchtete meine Mutter mit mir über Polen, Tschechien, den Schwarzwald nach Oberösterreich in ein US-Lager für displaced persons", so Weibel in dem Interview. In Paris begann er Französisch und französische Literatur zu studieren, begann 1964 in Wien ein Medizinstudium und wechselte zu Mathematik und Logik. Eine Dissertation über mathematische Logik hat er zwar geschrieben, aber nie eingereicht.

Von der visuellen Poesie, Textaktionen und Aktionstexten im Rahmen des Wiener Aktionismus der 60er-Jahre fand Weibel auf der Suche nach Erweiterungen des Materials, der Medien und Methoden der Kunstproduktion bald zur (konzeptuellen) Fotografie und zum Film, zum "erweiterten Kino" mit Aktionsfilmen, Filmaktionen, Film ohne Film, zu körperbezogenen Aktionen (etwa gemeinsam mit Valie Export). 1968 war er maßgeblich an der Organisation der skandalumwitterten Aktion "Kunst und Revolution" mit u.a. Günter Brus und Otto Mühl an der Uni Wien beteiligt.

Zehn Jahre später wandte er sich der Musik zu und gründete zusammen mit Loys Egg die Band Hotel Morphila Orchester. Früh befasste er sich mit den Fragen von Video- und Computerkunst und virtuellen Räumen. In seinem Werk verwendete Weibel ab 1966 bereits interaktive Praktiken und ab 1990 interaktive Computerinstallationen.

Als kontroversieller Denker, der den Relativismus der Kunst zum Thema seines alle Medien einbeziehenden Werks gemacht hat und der, noch bevor die Postmoderne überhaupt aufgetaucht war, die verbindlichen Avantgarde-Theorien angekratzt hatte, wurde er bald zum gesuchten Lektor und Professor an internationalen Kunstschulen von Kassel bis Halifax. 1981-84 war er Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1984 bis 2011 an der Universität für angewandte Kunst Wien Professor für visuelle Mediengestaltung, später für Medientheorie. 1982 bis 1985 war er auch Professor für Fotografie an der Gesamthochschule Kassel. Von 1985 bis 1989 lehrte er auch an der State University of New York in Buffalo, von 1989 bis 1994 war er Direktor des Instituts für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt.

Seit 1988 künstlerischer Berater der Ars Electronica in Linz, war er von 1992 bis 1995 auch deren künstlerischer Leiter. Ab 1993 bis 1997 war Weibel auch künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz, wo er dann zum Chefkurator wurde. Zu den unzähligen Jobs, die Weibel in der Kunstszene bereits innegehabt hat, zählt auch der Posten des Kommissärs des Österreich-Beitrags bei der Biennale Venedig (1993 bis 1999).

1999 übernahm Weibel schließlich die Leitung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, dem weltgrößten Medienzentrum und für Weibel "das technisch avancierteste Museum der Welt". Vergangene Woche eröffnete dort die Ausstellung "Writing the History of the Future", in der die Hauptwerke der Sammlung gezeigt werden.

Urlaub und Freizeit sind für Weibel ("Kunst kennt kein Wochenende") ebenso Fremdworte wie Ruhestand. "Die Arbeit liegt zu Hause herum und wird dann irgendwann im Nachlass erscheinen und wird die Leute verblüffen", sagte Weibel einmal. "Bei mir ist ein Werk nie fertig. Ich bin berüchtigt dafür, dass ich nie Termine einhalten kann. Ich bin ein idealer Nachlasskünstler."

www.peter-weibel.at