"Jetzt kann ich endlich sammeln, was ich will“, lacht Uli Sigg und und schlendert im Wiener MAK durch einen Teil „seiner“ Kunstsammlung. Die streng genommen nicht mehr seine ist, denn gut die Hälfte der rund 2500 Kunstwerke umfassenden Kollektion wandert als Schenkung an das noch im Bau befindliche M+ Museum in Hongkong. Der Job des 72-jährigen Luzerners ist getan, denn dort erfüllt die Sammlung die Funktion, die für Sigg immer der Antrieb seiner Sammlertätigkeit war: „Es ging mir darum, das gesamte Kunstschaffen abzubilden. Ich habe gesammelt, wie ein Nationalmuseum hätte sammeln sollen.“
Rund 100 Objekte von 57 Künstlern zeigt „Chinese Whispers“ bis Ende Mai. Die Ausstellung ist auch als Fenster ins allgegenwärtige China zu verstehen, sagt MAK-Chef Christoph Thun-Hohenstein: „Wir müssen uns intensiv mit den Facetten Chinas auseinandersetzen“.
Mit China auseinandergesetzt hat sich Uli Sigg seit den 70ern: als Unternehmer, Journalist, Diplomat. Seit Mitte der 90er Jahre sammelt er chinesische Gegenwartskunst. „Uli Sigg hat eine sehr politische Sammlung aufgebaut“, betont Kuratorin Bärbel Vischer. Das beginnt schon beim strahlendsten Objekt der Schau, die Skulptur „Descending Light with a Missing Circle“. Ai Weiwei, langjähriger Freund von Uli Sigg, thematisiert mit einem überdimensionierten, auf den Boden gekrachten Luster den Niedergang der modernen Gesellschaft. Das schöne, glitzernde Rot, eine Transformation: Von der traditionellen Farbe des Glücks hin zur Farbe der Kommunisten.
Oder Künstler Zhao Bandi, der im schönen Goldrahmen, impressionistisch beschwingt, einen Masten mit Gesichtserkennungskameras inszeniert.
Spannendes Detail am Rande: Sigg durfte das Bild zwar ausführen, aber für eine Ausstellung in China nicht mehr einführen. Die Macht der Kunst gegen den Apparat der Macht. Nicht selten ist die Kunst verklausuliert, voll mit doppeldeutigen Anspielungen. So lässt Zhu Jiuyang in der Videoinstallation „The Declaration of the Blind“ fünf blinde Geschichtenerzähler aus der Provinz Shaanxi in ihrem Dialekt die gesamte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durchexerzieren.
Oder Samson Young aus Hongkong, der einen Chor, der auch als kollektive Einheit zu sehen ist, die legendäre Nummer „We Are the World“ flüstern lässt. Eine Anspielung darauf, dass Hongkong sich sukzessive von Festlandchina mundtot gemacht fühlt. Oder He Xiangyu, der sich einem speziellen Hybrid, wie er sie nennt, verschrieben hat: der Zitrone. Sie hat von China aus große Teile der Welt erobert. Eine Grenze zwischen Ost und West? Die kennt sie nicht.
Wie Kunst, die widerständig ist. So wie der Kopf aus Jade, einem der härtesten Steine der Welt, der nach festgelegten Zeiten im Ausstellungsraum an die Wand donnert. Der will mit dem Kopf durch die Wand. Und im Moment schaut es so aus, als würde er es schaffen. Ein bisschen Zeit hat er ja noch.