Der Klangzauber von Brass Band, Akkordeon, Steel Drums und Sprechgesängen scheint auf einen heiteren „African Marketplace“ zu locken. Aber dann steht man gebannt vor einer 40 Meter breiten Leinwand, auf der wie in einem animierten Scherenschnitt Bauern, Arbeiterinnen, Flüchtlinge, Gefangene, Kranke vorüberziehen, dazwischen auch Skelette, Geflügelscheren, Kämpfer mit Kalaschnikows ...
„More Sweetly Play the Dance“/„Spiel süßer den Tod“ (2016) ist die jüngste Videoarbeit von William Kentridge, und sein ins Herz und unter die Haut gehender Danse macabre würde sich vortrefflich in eine „Jedermann“-Inszenierung fügen. Der Universalkünstler behauptet zwar stets, wie etwa in einem „Tagesspiegel“-Interview, „als Ausdruck meiner Skepsis gegenüber jeglicher Gewissheit fehlt in meinen Werken jegliche politische Botschaft“. Und doch ist sie ganz unmittelbar da. Wie auch anders beim Sohn jüdischer Eltern aus Johannesburg, die als Rechtsanwälte Nelson Mandela und andere Schwarze in Apartheid-Prozessen vertraten?
Kentridges subtile politische Kraft beweisen auch die ihm gewidmeten Ausstellungen in Salzburg eindrücklich. Im Museum der Moderne sind neben dem Totentanz weitere Installationen und Inszenierungen zu sehen, die scheinbar spielerisch Bewegung und Technik, Geschichte und Kulturgeschichte, Soziales und Psychologisches umkreisen und gleichzeitig in die Tiefe bohren. Anregende, aufregende Wunderkammern des Sparten-Zertrümmerers.
Das Rupertinum wiederum, wo Kentridge seit Anfang Juli ein eigenes Atelier als Rückzugsstüberl nutzt, präsentiert einen Überblick über seine bisherigen Arbeiten für Theater und Opern, etwa Georg Büchners „Woyzeck“ oder Alban Bergs „Lulu“. Diesem OEuvre wird der 62-Jährige nun die Neuinszenierung von Bergs „Wozzeck“ nach Büchners Dramenfragment über eine Eifersuchtstragödie hinzufügen.
„Es wird so etwas wie eine 90-minütige Zeichnung“, kündigt Kentridge an. Der Großmeister des Kohlestifts wird nämlich seine Zeichnungen einzeln und als Videos auf das Bühnenbild projizieren, die Wozzecks Visionen einer Katastrophe unterstreichen sollen. Mit dem Dirigenten Vladimir Jurowski arbeite er sehr eng zusammen, um Musik, Drama und Bilder zu vermählen „und die Oper sozusagen zu einem lebendigen Organismus zu machen“.
In kleinerer Form hat der Südafrikaner das ja schon 2014 bei den Wiener Festwochen erprobt: Dort visualisierte er Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“ mit 24 schaurig-schönen Animationsfilmen. Der deutsche Bariton Matthias Goerne, der jetzige Wozzeck, sang in dem auch auf DVD dokumentierten Experiment. Am Klavier: der damalige Intendant Markus Hinterhäuser, seit heuer Chef in Salzburg und hauptverantwortlich dafür, dass die Festspiele mit William Kentridge einen Weltkünstler als Artist in Residence haben.
Michael Tschida