Die Blicke sind düster und leer, die Gesichtszüge mit der Spachtel hart aufgetragen. Die Porträts stellen Paul Cézannes Familie, Verwandte und Bekannte dar. Mit seinen lieblichen Landschaftsdarstellungen der Provence hat der expressionistische, fast gewaltsame Stil nichts gemein. Er selbst beschrieb ihn als seine "grobschlächtige Periode". "Das andere Gesicht" des Malers nennt es die Presse.
Täglich drängeln sich durchschnittlich mehr als 5.700 Besucher vor den rund 60 Porträts, wie das Pariser Musée d'Orsay mitteilte. Und das seit der Eröffnung Mitte Juni. Die Ausstellung ist die erste, die ausschließlich seine Porträts zeigt, von denen Cézanne im Laufe seines Lebens (1839-1906) rund 160 gemalt hat.
Doch der Andrang hat noch einen anderen Grund, wie Xavier Rey erklärt, einer der Kuratoren. Angesichts seiner Porträts stehe man dem persönlichsten und somit zutiefst menschlichen Aspekt von Cézannes Werk gegenüber. Und der erstaunt: Denn die ausgestellten Exponate erinnern eher an die Bild-Dramen des Malers Chaim Soutine (1893-1943) als an die zerfließende Ästhetik der impressionistischen Werke von Cézanne.
Zu seinen Mitmenschen hatte der Maler oft ein kompliziertes und gespanntes Verhältnis, vor allem zu seinem engsten Umfeld. In einem Brief an den Maler Camille Pissarro schreibt Cézanne: "Hier bin ich mit meiner Familie, mit den übelsten Menschen der Welt. Die Menschen, die meine Familie ausmachen, gehen mir auf die Nerven."
Porträts von Familienmitgliedern
Zu sehen sind Darstellungen seines Onkels Dominique, zu Lebzeiten Gerichtsvollzieher, seines autoritären Vaters, auf dessen Wunsch er zunächst Jura studierte, und seiner Frau Hortense, eines seiner ersten und meist abgebildeten Modelle. Von ihr sind in der Ausstellung 29 Bilder zu sehen. Sie zeigen eine Frau, die mit ihrem erloschenen Blick, ihrer leblosen Gestalt, das befremdende Gefühl von Leere ausstrahlt.
Das um mehr als zehn Jahre jüngere Malermodell führte ein Schattendasein. Jahrelang verbarg Cézanne die nicht standesgemäße Beziehung zu Hortense, um die finanzielle Zuwendung seines Vaters nicht zu verlieren. Erst 1886, mehr als 15 Jahre später, heiratete der Maler die Mutter seines Sohnes. Nicht aus Liebe. Der inzwischen 14-Jährige sollte durch die Ehe rechtlich abgesichert werden.
Cézanne hatte Scheu vor Frauen und panische Angst vor körperlichem Kontakt. Er galt als reizbar und wortkarg. Als seltsam bezeichneten ihn auch Zeitgenossen, darunter der Schriftsteller Émile Zola, mit dem Cézanne einige Jahre befreundet war, und der Maler Achille Emperaire. Auch ihre Porträts sind in der bis zum 24. September dauernden Werkschau zu sehen, die danach in London in der National Portrait Gallery und in Washington in der National Gallery of Art gezeigt wird.
Nähere Infos: www.musee-orsay.fr
Sabine Glaubitz