Wir sind alle kontaminiert. Kein Wunder, sie umgibt uns permanent, nicht nur physisch, sondern immer und überall – medial, als politischer Spielball, umkämpft, als Zufluchtsort, Sehnsuchtsort, Albtraum, Einengung, Fluchtgrund, Ort der Vertreibung: Heimat. Emotional aufgeladen, wie kaum ein zweites Wort. „herbst“-Intendantin Ekaterina Degot klärt beim Ausstellungsrundgang die nicht deutschsprachigen Gäste auf: Der Begriff „Heimat“ könne einerseits als „Vaterland“ gelesen werden, andererseits aber auch „ein Dorf, dein Garten oder nur eine Ecke deines Gartens meinen“, ein Begriff, der einschließt, aber vor allem eines fulminant beherrscht – er kann ausschließen. Auf Letzteres legt der „steirische herbst“ seinen Finger. Keine große Kunst, denn der Begriff hängt wie eine große klaffende Wunde in der Welt und eitert vor sich hin.

Eine Erstversorgung ist die große „herbst“-Schau „Horror Patriae“ aber nicht: Es ist keine Beschäftigung mit den aktuellen Fluchtbewegungen oder die mögliche Transformation des Heimatbegriffes in digitalen Welten. Das, was da noch kommen mag, das spielt keine Rolle. Vielmehr bleibt man standorttreu und geht in die Tiefe, wortwörtlich: Die Kuratorinnen und Kuratoren, Ekaterina Degot, David Riff, Gabor Thury und Pieternel Vermoortel, haben die Tiefenspeicher des Universalmuseum Joanneum durchforstet und ans Licht geholt, was in der über 200-jährigen Geschichte vortrefflich etwa über Nationalismus, Heimat, Vaterland oder Rassismus Auskunft geben kann. Den Wunsch nach Einheit, die ausgeprägte Tendenz zur Eroberung und Unterwerfung oder das geradezu lächerliche Verbiegen historischer Wahrheiten, um auf der Landkarte nicht der Bedeutungslosigkeit anheimzufallen. Das ist tatsächlich der blanke Horror. Doch das Konzept dieses fiktiven Museums sieht natürlich einen Fluchtweg vor, stellt dem Grausen Humor zur Seite, entlarvt mit dutzenden Auftragsarbeiten die plumpen Mechanismen der Vereinnahmung.

Die Rotunde der Neuen Galerie wird zum „Heimattempel“, zum Ausgangspunkt in diese, nein, nicht Wunderkammer, sondern eher wunderliche Kammer, wo die Stiertreiber von Donnersbach ihr Unwesen treiben: Der Nazi Karl Haiding ging dort unter anderem auch nach dem Zweiten Weltkrieg seiner Passion nach, der Erforschung der „heidnischen“ Bräuche. Haiding war übrigens Gründungsdirektor des Heimatmuseums Trautenfels. Dem Heimatforscher hat die Künstlerin Michèle Pagel zwei Schwergewichte gegenübergestellt, die es in sich haben: Ein mit Gips gefüllter weißer Müllsack quillt unter anderem aus einer metallenen Lederhose. Symbolische Stellvertreter für die ländliche heile Welt, die im Tourismus, Wahlkämpfen oder melancholischen Vergangenheitsvisionen herumstreunen.

„Abteilung für gemäßigten Größenwahn“, „Galerie der zaghaften Moderne“, „Stationen der wilden Fantasien“ oder auch „Kabinett der Gipfel und Hügel“, heißen etwa die Abteilungen des fiktiven Museums, deren Ausgangspunkt zwar der Mikrokosmos Joanneum ist, aber daraus viele Ingredienzien extrahiert, die im Makrokosmos ident sind – wie Heimat konstruiert wird, mit welchen Versprechungen der Begriff lockt oder wie man sich vortrefflich dort einrichten kann.

Apropos, sich wo einrichten: Viktor Geramb, Säulenheiliger der steirischen Volkskunde, Fixstern der steirischen Heimatforschung und Deutschnationaler, sein Wirken wird in der Ausstellung ebenso thematisiert, wie das seines Nachfolgers Hanns Koren, bekanntlich einer der Initiatoren vom „steirischen herbst“.

Es kann nicht schaden, wenn man an bestimmten Denkmälern rüttelt. Der steirische Künstler David Kranzelbinder hätte da auch noch ein paar Kandidaten gefunden, die noch so in der Steiermark umeinandstehen. Wie etwa eine Statue von Otto von Bismarck bei Mureck. Und genau das zeigt die Ausstellung überdeutlich: Das Tun vergangener Zeiten ragt weit mehr ins Heute, als uns lieb sein kann. Es sind mehr als nur vernachlässigbare Schatten der Vergangenheit.